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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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die Alma bereits Dutzende Male gehört hatte: wie er einmal in einer verdreckten Herberge in Peru das Bett mit einem großspurigen kleinen Franzosen teilen musste, der mit dem denkbar stärksten französischen Akzent sprach, trotzdem aber eisern behauptete, kein Franzose zu sein.
    »Immer wieder«, erzählte Henry, »sagt dieser Hohlkopf zu mir: › Isch bihn Angländer! ‹, und ich sage zu ihm: ›Sie sind kein Engländer, Sie Armleuchter, Sie sind Franzose! Hören Sie sich doch mal Ihren verfluchten Akzent an!‹ Aber nein, der Hohlkopf hält sich dran: › Isch bihn Angländer! ‹ Schließlich sage ich zu ihm: ›Dann erklären Sie mir doch bitte mal: Wie soll das gehen, dass Sie Engländer sind?‹ Und er quiekt: › Isch bihn Angländer, weil isch ’abe anglische Frau! ‹«
    Ambrose wollte gar nicht aufhören zu lachen. Alma musterte ihn wie eines ihrer Pflanzenpräparate.
    »Nach der Logik«, schloss Henry, »wäre ich dann also Holländer!«
    »Und ich wäre ein Whittaker!«, setzte Ambrose immer noch lachend hinzu.
    »Noch Tee?«, fragte Hanneke und musterte Alma erneut mit bohrendem Blick.
    Alma schloss energisch den Mund, der, wie sie erst jetzt bemerkte, ein bisschen weit offen stand. »Vielen Dank, Hanneke, ich habe genug.«
    »Die Burschen fahren heute das letzte Heu ein«, sagte Henry. »Kümmere dich darum, Alma, dass sie es auch ordentlich machen.«
    »Natürlich, Vater.«
    Henry wandte sich wieder Ambrose zu. »Die kann was, deine Frau, vor allem, wenn es Arbeit zu erledigen gibt. Ein richtiger Bauersmann im Rock ist das.«
    •
    Die zweite Nacht verlief ebenso wie die erste – und auch die dritte, die vierte und die fünfte. Alle Nächte, die folgten, verliefen gleich. Ambrose und Alma zogen sich jeder für sich aus, stiegen ins Bett und wandten sich einander zu. Er küsste ihre Hand, pries ihre Güte und löschte das Licht. Dann fiel er in den tiefen Schlummer einer verwunschenen Märchengestalt, und Alma lag in stummer Qual neben ihm. Nichts änderte sich, nur dass es Alma mit der Zeit gelang, zumindest ein paar Stunden unruhigen Schlafes pro Nacht zu bekommen, wenngleich nur deshalb, weil ihr Körper der Erschöpfung nicht mehr standhielt. Doch ihre Nachtruhe blieb von beklemmenden Träumen durchsetzt und von scheußlichen Phasen ruhelos schweifender, schlafloser Grübeleien.
    Tagsüber waren Alma und Ambrose weiterhin Gefährten im Forschen und im Denken. Er schien ihr zugetan wie nie zuvor. Sie ging hölzern ihrer Arbeit nach und half ihm mit der seinen. Er wollte stets in ihrer Nähe sein – so nah bei ihr wie nur möglich. Ihr Unbehagen bemerkte er offenbar nicht, und sie versuchte, es ihm nicht zu zeigen. Sie hoffte immer weiter auf eine Änderung. Wochen vergingen. Es wurde Oktober. Die Nächte wurden kühler. Nichts änderte sich.
    Ambrose wirkte so sehr im Einklang mit diesem ehelichen Arrangement, dass Alma – zum ersten Mal in ihrem Leben – fürchtete, den Verstand zu verlieren. Da begehrte sie ihn mit Haut und Haaren, und er war völlig damit zufrieden, den einen Zoll Haut unter dem mittleren Fingerknöchel ihrer linken Hand zu küssen. Sie war Whittaker genug, um bei dem Gedanken, man könnte sie zum Narren gehalten haben, vor Zorn zu beben. Doch dann sah sie Ambrose an, sah sein Gesicht, das dem eines Halunken nicht weniger hätte gleichen können, und ihr Zorn wich erneut trauriger Verwirrung.
    Anfang Oktober genoss ganz Philadelphia die letzten Tage des Altweibersommers. Die Morgende erstrahlten in kühler Frische und blauem Himmel, die Nachmittage waren mild und träge. Ambrose wirkte beflügelter denn je, er sprang aus dem Bett, als hätte man ihn aus einer Kanone abgefeuert. Es war ihm gelungen, im Orchideenhaus eine seltene Aerides odorata zum Blühen zu bringen. Henry hatte die Pflanze vor vielen Jahren von den Ausläufern des Himalaya mitgebracht, doch es war nie auch nur eine Knospe herangereift, bis Ambrose sie aus ihrem Topf am Boden genommen und sie in einem Nest aus Rinde und feuchtem Moos an die Dachsparren gehängt hatte, mitten hinein ins strahlende Sonnenlicht. Da war sie mit einem Mal zu voller Blüte erwacht. Henry war begeistert. Ambrose war begeistert. Er zeichnete sie aus jeder denkbaren Perspektive. Sie würde das Prunkstück des Florilegiums von White Acre darstellen.
    »Wenn man etwas nur genug liebt, offenbart es einem schließlich sein Geheimnis«, sagte Ambrose zu Alma.
    Hätte er sie nach ihrer Meinung gefragt, Alma wäre anderer Ansicht gewesen.

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