Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Ambrose schon früh in das gemeinsame Zimmer zurück und kündigte an, vor dem Essen noch ein Bad nehmen zu wollen. Alma folgte ihm aufs Zimmer. Sie setzte sich aufs Bett und lauschte dem Wasser, das hinter der geschlossenen Tür in die große Keramikwanne lief. Sie hörte ihn vor sich hin summen. Er war glücklich. Doch in ihr schwelten Kummer und Zweifel. Jetzt entkleidete er sich wohl. Sie hörte ein leises Platschen, als er in die Wanne stieg, dann sein zufriedenes Seufzen. Danach war es still.
Sie stand auf und zog sich ebenfalls aus. Sie legte alles ab, die Unterhose und das Leibchen, sogar die Nadeln, die ihr Haar hielten. Hätte sie noch mehr ablegen können, sie hätte auch das getan. Ihr nackter Körper war nicht schön, das wusste sie, doch einen anderen besaß sie nicht. Sie trat an die Tür des Waschraums, drückte das Ohr daran, lauschte. Sicher, sie brauchte das nicht zu tun. Es gab andere Wege. Sie konnte lernen, die Dinge so zu nehmen, wie sie waren. Sie konnte sich geduldig in ihr Leid fügen, in diese sonderbare, unmögliche Ehe-und-doch-nicht-Ehe. Sie konnte lernen, all das zu besiegen, was Ambrose in ihr auslöste: ihren Hunger nach ihm, ihre Enttäuschung, das Gefühl von quälender Abwesenheit, wann immer sie in seiner Nähe war. Wenn sie lernte, ihr Begehren zu unterdrücken, dann konnte sie ihren Mann behalten – so, wie er war.
Nein. Nein, das konnte sie nicht lernen.
Sie drehte den Türknauf, schob die Tür auf und trat so geräuschlos wie möglich ein. Er wandte den Kopf zu ihr, und seine Augen weiteten sich voller Schrecken. Sie sagte nichts, und auch er sagte nichts. Sie wandte den Blick von seinen Augen ab und erlaubte sich, seinen Körper zu betrachten, der gerade so vom kühlen Badewasser bedeckt war. Da war er, in seiner ganzen nackten Pracht. Seine Haut war milchweiß – so viel weißer an Brust und Beinen als an den Armen. Nur wenige Haare bedeckten seinen Rumpf. Er hätte nicht vollkommener und schöner sein können.
Hatte sie etwa befürchtet, er könne gar kein Geschlechtsteil besitzen? Hatte sie geglaubt, darin läge die Ursache? Nun, so war es nicht. Er besaß ein Geschlechtsteil – ein völlig zureichendes, sogar imposantes Geschlechtsteil. Sie gestattete sich, sein hübsches Anhängsel eingehend zu betrachten – dieses blasse, bewegliche Unterwassergeschöpf, das da in einem Dickicht aus feuchtem Haar zwischen seinen Beinen schwamm. Ambrose rührte sich nicht. Auch sein Penis zeigte keine Regung. Er wollte nicht betrachtet werden, das sah Alma sofort. Sie hatte genügend Zeit im Wald zugebracht und scheue Tiere beobachtet, um zu wissen, wann ein Geschöpf nicht gesehen werden wollte, und bei dem Wesen dort zwischen Ambroses Beinen war dies eindeutig der Fall. Dennoch sah sie es an, weil sie den Blick nicht abwenden konnte. Ambrose ließ sie gewähren – wenn auch nicht aus Freizügigkeit, sondern weil er wie gelähmt war.
Schließlich schaute sie ihm wieder ins Gesicht, verzweifelt auf der Suche nach einer Öffnung, einem Weg in sein Inneres. Er schien starr vor Angst. Wieso Angst? Sie sank vor der Wanne auf die Knie. Fast sah es aus, als kniete sie wie eine Bittstellerin vor ihm. Nein: Sie kniete ja tatsächlich als Bittstellerin vor ihm. Seine rechte Hand mit den langen, sich verjüngenden Fingern hielt den Keramikrand der Wanne umklammert. Alma löste die Hand, einen Finger nach dem anderen. Er ließ es zu. Sie umfasste seine Hand und führte sie an ihre Lippen. Dann steckte sie drei seiner Finger in den Mund. Sie konnte nicht anders. Sie musste etwas von ihm in sich spüren. Am liebsten hätte sie noch zugebissen, gerade so fest, dass ihr seine Finger nicht mehr entgleiten konnten. Sie wollte ihm keine Angst machen, aber freigeben wollte sie ihn auch nicht. Anstatt zuzubeißen, fing sie an zu saugen. Sie war ganz auf ihr Verlangen konzentriert. Ihre Lippen machten ein Geräusch dabei – ein obszönes, feuchtes Schmatzen.
Da erwachte Ambrose plötzlich wieder zum Leben. Er keuchte auf und riss ihr die Hand aus dem Mund. Mit lautem Platschen richtete er sich auf und bedeckte sein Glied mit beiden Händen. Er sah aus, als würde er gleich vor Angst sterben.
»Bitte …«, sagte sie.
Sie starrten einander an, wie eine Frau und der Eindringling in ihrer Schlafkammer – doch hier war Alma der Eindringling und Ambrose das verängstigte Opfer. Er sah sie an, als wäre sie eine Fremde, die ihm ein Messer an den Hals hielt, als wollte sie ihr zutiefst verdorbenes
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