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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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diesem Fluss hier gebadet. Von Beginn an, das wusste Alma, nutzten die Missionare den Fluss für ihre Taufen.
    Sie war unschlüssig, was sie nun, da sie endlich am Ziel war, tun sollte. Es war kein Mensch zu sehen, bis auf einen kleinen Jungen, der allein im Fluss spielte. Er war höchstens drei Jahre alt, splitternackt und schien sich nicht weiter daran zu stören, allein im Wasser zurückgeblieben zu sein. Alma wollte ihr Gepäck nicht aus den Augen lassen, und so setzte sie sich einfach neben ihre Besitztümer und wartete darauf, dass jemand kam. Sie hatte schrecklichen Durst. Und weil sie am Morgen zu aufgeregt gewesen war, um ihr Schiffsfrühstück einzunehmen, war sie obendrein hungrig.
    Nach längerer Zeit kam aus einer der entlegeneren Hütten eine stämmige Tahitianerin in einem langen, züchtigen Kleid und einer weißen Haube. Sie hielt eine Harke in der Hand. Als sie Alma sah, blieb sie stehen. Alma rappelte sich hoch und strich sich das Kleid glatt. »Bonjour!« , rief sie. Tahiti gehörte inzwischen offiziell zu Frankreich, und so hielt sie Französisch für die beste Wahl.
    Die Frau ließ ein wunderhübsches Lächeln sehen. »Wir sprechen hier Englisch!«, rief sie zurück.
    Alma wäre gern zu ihr hingegangen, damit sie einander nicht anschreien mussten, doch sie fühlte sich törichterweise immer noch außerstande, ihr Gepäck zu verlassen. »Ich suche Reverend Francis Welles!«, rief sie.
    »Der ist heute auf der Farm!«, antwortete die Frau fröhlich, dann bog sie in die Straße nach Papeete ein und ließ Alma erneut mit ihrem Gepäck allein.
    Auf der Farm? Wurde hier etwa Viehzucht betrieben? Falls ja, so sah und roch Alma nichts, was dafür gesprochen hätte. Was mochte die Frau gemeint haben?
    In den folgenden Stunden passierten weitere Tahitianer Alma und ihren Stapel aus Kisten und Koffern. Alle waren freundlich, doch keiner schien sich groß darüber zu wundern, dass sie da war, und keiner sprach lange mit ihr. Sie hatten alle dasselbe zu berichten: Reverend Francis Welles sei heute auf der Farm. Wann er zurückkomme von der Farm? Das wusste niemand. Man wolle doch hoffen, vor Einbruch der Dunkelheit.
    Ein paar kleine Jungen umringten Alma und widmeten sich dem waghalsigen Spiel, Steinchen nach ihrem Gepäck und hin und wieder sogar nach ihren Füßen zu werfen, bis sie von einer üppigen älteren Frau mit finsterer Miene verscheucht wurden und davonstoben, um stattdessen im Fluss zu planschen. Als der Tag weiter fortschritt, gingen Männer mit kleinen Angelruten an Alma vorbei und wateten ins Meer. Bis zum Hals standen sie in der sanften Dünung und angelten nach Fischen. Almas Durst und Hunger wuchs ins Unermessliche. Gleichwohl wagte sie es nicht, sich vom Fleck zu rühren und ihr Gepäck unbeaufsichtigt zu lassen.
    Die Dämmerung bricht in den Tropen schnell herein. Das wusste Alma bereits von ihrer Zeit auf See. Die Schatten wurden länger. Die Kinder kraxelten aus dem Fluss und verschwanden in den Häusern. Alma sah, wie die Sonne rasch hinter den steilen Gipfeln der Insel Morea, auf der anderen Seite der Bucht, versank. Sie wurde von Panik erfasst. Wo sollte sie heute Nacht schlafen? Mücken schwirrten ihr um den Kopf. Für die Tahitianer war sie inzwischen unsichtbar. Ringsum ging man seinen Beschäftigungen nach, als wären Alma und ihr Gepäck ein altes Denkmal, das schon seit Anbeginn der Zeiten dort am Strand stand. Die Schwalben kamen zwischen den Bäumen hervor und machten sich auf die abendliche Jagd. Die Wasseroberfläche warf mit loderndem Schein das Licht der untergehenden Sonne zurück.
    Da entdeckte Alma etwas auf den Wellen, das auf den Strand zuhielt. Es war ein kleiner, schmaler Einbaum. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab und blinzelte in den Widerschein der Abendsonne, um die Gestalten darin auszumachen. Nein, es war nur eine Gestalt, doch die paddelte mit Feuereifer. Das Kanu landete mit bemerkenswertem Tempo am Strand wie ein kleiner, schwungvoller Pfeil, und heraus sprang ein Elf. Zumindest war dies Almas erster Gedanke: Das ist ein Elf!Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich der Elf jedoch als Mann, ein Weißer mit einem wilden Kranz aus schlohweißem Haar und dem dazu passenden, wallenden Bart. Er war zierlich, o-beinig und flink und zog das Kanu mit einer ob seiner Statur überraschenden Kraft ans Ufer.
    »Reverend Welles?«, rief Alma voller Hoffnung und winkte in einer Geste, die jeglicher Würde entbehrte, mit beiden Armen.
    Der Mann kam näher. Man konnte

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