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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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seien Sie versichert: Nichts davon ist auf ewig gestohlen. Es wurde nur mitgenommen, womöglich auch nur vorübergehend. Manches bekommen Sie vielleicht zurück, wenn Sie Geduld haben. Falls Ihnen etwas davon besonders am Herzen liegt, kann ich auch direkt danach fragen. Manchmal tauchen Gegenstände wieder auf, wenn ich die richtigen Fragen stelle.«
    Alma dachte an all das, was sie eingepackt hatte. Was davon benötigte sie am meisten? Nach dem Koffer mit Ambroses sodomitischen Zeichnungen konnte sie unmöglich fragen, sosehr es sie auch quälte, ihn verloren zu wissen, denn er war ihr wichtigster Besitz.
    »Mein Mikroskop«, sagte sie schließlich mit schwacher Stimme.
    Reverend Welles nickte erneut. »Das dürfte schwierig werden, nicht wahr. Ein Mikroskop besitzt in dieser Gegend beträchtlichen Neuheitswert. Niemand wird je zuvor eines gesehen haben. Ich glaube sogar, ich habe selbst noch nie eines gesehen! Dennoch, ich werde umgehend danach fragen. Wir können nur hoffen, nicht wahr! Für heute müssen wir Ihnen erst einmal eine Unterkunft beschaffen. Unten am Strand, eine Viertelmeile von hier, liegt das kleine Haus, das wir zusammen mit Mr Pike für ihn erbaut haben, als er hier eintraf. Es ist noch ganz so, wie es war, als er von uns ging, Gott hab ihn selig. Ich hatte gedacht, einer der Eingeborenen würde sich dort einrichten wollen, aber wie es scheint, wagt sich keiner von ihnen hinein. Der Tod haftet daran, nicht wahr – natürlich nur in ihrer Wahrnehmung. Es ist ein abergläubisches Völkchen, nicht wahr. Aber das Haus ist hübsch und komfortabel eingerichtet, und falls Sie nicht abergläubisch sind, werden Sie sich dort wohl fühlen. Sie sind doch nicht abergläubisch, Schwester Whittaker? Sie machen mir nicht den Eindruck. Wollen wir es uns ansehen?«
    Alma glaubte, jeden Halt zu verlieren. »Bruder Welles«, sagte sie und konnte ihre Stimme nur mit Mühe am Zittern hindern. »Bitte vergeben Sie mir. Ich habe einen weiten Weg hinter mir. Ich bin fern von allem, was mir vertraut wäre. Ich bin zutiefst bestürzt, meinen gesamten Besitz verloren zu haben, der mir auf fünfzehntausend Reisemeilen unbeschadet erhalten geblieben und gerade eben erst verschwunden ist! Bis auf Ihre Heilige Kommunion habe ich seit dem Abendessen auf dem Walfänger gestern Nachmittag nichts mehr zu mir genommen. Es ist alles neu und verwirrend. Ich bin zutiefst erschüttert und durcheinander. Sie müssen mir vergeben …« Sie brach ab. Das Ziel ihrer Ansprache war ihr abhandengekommen. Sie wusste nicht mehr, wofür genau sie um Vergebung bat.
    Der Reverend schlug die Hände zusammen. »Essen! Aber natürlich, Sie müssen ja essen! Ich muss mich entschuldigen, Schwester Whittaker! Ich pflege selbst nicht zu essen, nicht wahr – oder nur sehr selten. Da vergesse ich mitunter, wie wichtig es für andere ist! Meine Frau würde mich teeren und federn, wenn sie von meinen schlechten Manieren wüsste!«
    Damit flitzte er davon, ohne ein weiteres Wort und ohne weitere Erklärungen seine Frau betreffend, und klopfte an die Tür des Häuschens gleich neben der Kirche. Die üppige Tahitianerin, die die Predigt gehalten hatte, öffnete ihm. Sie wechselten ein paar Worte. Dann sah die Frau zu Alma hinüber und nickte. Reverend Welles eilte federnden, o-beinigen Schrittes zu Alma zurück.
    Ob das wohl seine Frau ist?, fragte sich Alma.
    »Es ist alles geklärt!«, rief Reverend Welles. »Schwester Manu kümmert sich um Sie. Wir essen hier sehr bescheiden, aber sicher, essen müssen Sie ja zumindest! Sie bringt Ihnen etwas in Ihr Haus. Außerdem habe ich sie gebeten, Ihnen ein ahu taoto zu bringen – ein Schlaftuch, wie wir es hier des Nachts verwenden. Ich werde Ihnen auch eine Lampe bringen. Nun machen wir uns auf den Weg. Mir fällt nichts mehr ein, was Sie sonst noch benötigen könnten.«
    Alma wäre so einiges eingefallen, was sie sonst noch benötigen könnte, doch für den Augenblick genügte ihr die Aussicht auf Nahrung und Schlaf. Sie folgte Reverend Welles den schwarzen Sandstrand entlang. Für jemanden mit so kurzen, krummen Beinen bewegte er sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Alma hatte trotz ihrer langen Beine Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Er schwenkte eine Laterne in der Hand, zündete sie aber nicht an, denn inzwischen war der Mond aufgegangen und schien hell vom Himmel herab. Alma erschrak über die großen, dunklen Schatten, die vor ihnen über den Sand huschten. Erst glaubte sie, es seien Ratten, doch bei

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