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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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geht den meisten so. In der Hauptstadt geht es dann wohl doch zivilisierter zu. Natürlich gibt es dort auch mehr Laster und mehr Unrecht. Aber Sie finden dort Chinesen, die Ihre Wäsche machen, und dergleichen mehr. Und es gibt zahllose Portugiesen und Russen – Strandgut, das mit den Walfängern kommt und uns erhalten bleibt. Nicht, dass Portugiesen und Russen bereits eine Zivilisation garantieren, aber es ist doch ein abwechslungsreicherer Umgang, nicht wahr, als Sie ihn hier in unserer kleinen Siedlung finden werden.«
    Alma nickte, doch sie war sich sicher, dass sie die Matavai-Bucht nicht mehr verlassen würde. Ambrose war hierher verbannt worden; nun würde es auch ihr Exil sein.
    »Hinter dem Haus, im Garten, finden Sie eine Feuerstelle zum Kochen«, sagte Reverend Welles. »Sie sollten aber nicht zu viel von diesem Garten erwarten, auch wenn Mr Pike nach Kräften versucht hat, ihn zu bestellen. Das versucht jeder, doch wenn die Schweine und die Ziegen ihre Raubzüge erst einmal beendet haben, bleiben für unsereins nicht mehr viele Kürbisse übrig! Wenn Sie frische Milch möchten, stellen wir Ihnen gerne eine Ziege zur Verfügung. Fragen Sie einfach Schwester Manu.«
    Als hätte ihr Name allein sie herbeizitiert, trat Schwester Manu durch die Tür. Sie musste gleich hinter ihnen gewesen sein. Das Häuschen schien kaum noch Platz für sie zu bieten, da Alma und der Reverend bereits darin standen. Alma bezweifelte sogar, dass Schwester Manu mit ihrem breitkrempigen, blumengeschmückten Hut überhaupt durch die Tür passen würde. Doch irgendwie passten sie alle hinein. Schwester Manu faltete ein Bündel auseinander und richtete auf dem kleinen Tisch die Speisen an, wobei sie Bananenblätter als Teller verwendete. Alma musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sich nicht gleich auf das Essen zu stürzen. Sodann reichte Schwester Manu ihr ein Bambusrohr, das mit einem Korken verschlossen war.
    »Wasser für Sie, zum Trinken !«, sagte sie.
    »Vielen Dank«, erwiderte Alma. »Das ist sehr freundlich von Ihnen.«
    Dann musterten sie einander eine Zeitlang schweigend: Alma mit müdem, Schwester Manu mit misstrauischem und der Reverend mit munterem Blick.
    Schließlich neigte Reverend Welles den Kopf und sagte: »Wir danken Dir, Herr Jesus Christus, und Dir, allmächtiger Vater im Himmel, für die sichere Ankunft Deiner Dienerin Schwester Whittaker. Mögen Dein Segen und Dein Schutz sie begleiten. Amen.«
    Dann brach er gemeinsam mit Schwester Manu auf, und Alma griff mit beiden Händen nach dem Essen und verschlang es so gierig und schnell, dass ihr nicht einmal Zeit blieb herauszufinden, was sie da eigentlich aß.
    •
    Mitten in der Nacht erwachte sie mit einem warmen, eisenartigen Geschmack im Mund. Sie roch Blut und Fell. Da musste ein Tier bei ihr sein. Ein Säugetier. Dieser Umstand war ihr bereits klar, noch ehe sie sich darauf besonnen hatte, wo sie sich befand. Ihr Herz klopfte heftig, während sie versuchte, sich zurechtzufinden. Auf dem Schiff war sie nicht. In Philadelphia war sie auch nicht. Sie war auf Tahiti – so, nun hatte sie die Orientierung wieder. Sie war auf Tahiti, in jenem Häuschen, wo Ambrose gelebt hatte und gestorben war. Wie lautete noch gleich das Wort für ihr Häuschen? Fare . Sie war in ihrem fare , und da war ein Tier bei ihr im Raum.
    Sie hörte eine Art Winseln, hell und unheimlich. Sie setzte sich in dem kleinen, unbequemen Bett auf und sah sich um. Durch das Fenster fiel ausreichend Mondlicht herein, um ihn zu sehen: den Hund, der mitten im Zimmer stand. Es war ein kleiner Hund, er wog höchstens zwanzig Pfund. Er hatte die Ohren angelegt und fletschte sie mit gebleckten Zähnen an. Ihre Blicke trafen sich. Das Winseln des Hundes ging in ein Knurren über. Alma stand der Sinn nicht danach, sich mit einem Hund anzulegen. Nicht einmal mit einem kleinen Hund. Diesen Gedanken fasste sie ganz schlicht, gelassen sogar. Neben ihrem Bett lag das Bambusrohr mit dem frischen Wasser, das Schwester Manu ihr mitgebracht hatte. Es war der einzige greifbare Gegenstand, der sich als Waffe eignete. Alma versuchte abzuwägen, ob sie nach dem Bambusrohr greifen konnte, ohne den Hund noch weiter zu reizen. Nein, sie war wirklich nicht gewillt, sich mit einem Hund anzulegen, aber falls es doch dazu kam, wollte sie einen ausgeglichenen Kampf. Langsam, ohne den Blick von dem Tier zu wenden, streckte sie den Arm Richtung Boden aus. Der Hund bellte und kam näher heran. Alma zog den Arm

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