Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
faszinierende Erkenntnisse. Sie verdeutlichen, dass im Reich der Gefühle wie auch im Reich der Wahrnehmung ein Reiz sowohl unbewusst als auch bewusst wahrgenommen werden kann. Überdies bestätigen die Studien auf biologischer Ebene die Bedeutung der psychoanalytischen Idee von unbewussten Emotionen. Sie legen nahe – wie Freud es schon früher umrissen hat –, dass Angst nicht etwa dann eine besonders dramatische Wirkung im Gehirn zeigt, wenn man den entsprechenden Reiz bewusst wahrnimmt, sondern wenn er der Imagination überlassen wird. Sobald man mit dem Bild eines angsterfüllten Gesichts bewusst konfrontiert wird, können selbst ängstliche Menschen genau einschätzen, ob es tatsächlich eine Bedrohung zum Ausdruck bringt.
168 James, W., The Principles of Psychology ,Bd. 2, Mineola, NY, 1950, S. 474.
169 Damasio, A., Descartes’ Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn , übers. von H. Kober, 3. Aufl., München 1988, S. 180.
170 James, W., The Principles of Psychology ,S. 1066f.
171 James, W., The Principles of Psychology , S. 449.
TEIL VIER
Die Biologie der emotionalen Reaktion
auf Kunst
KAPITEL 22
DIE TOP-DOWN-STEUERUNG KOGNITIVER EMOTIONALER INFORMATIONEN
G efühle sind nicht nur subjektive Erfahrungen und ein zusätzliches Werkzeug sozialer Kommunikation. Sie sind auch beim Erarbeiten intelligenter kurz- und langfristiger Pläne von wesentlicher Bedeutung. Tatsächlich erfordert die Formulierung allgemeiner Ziele eine Mischung aus emotionalen und nicht emotionalen kognitiven Prozessen. Selbst einfache Wahrnehmungsprozesse, wie das Erkennen einer bestimmten Person oder das Unterscheiden mehrerer Personen, sind von Emotionen und Gefühlen durchdrungen.
Die Wissenschaftsphilosophin Patricia Churchland bezeichnet dies als perzeptuelles und kognitiv-emotionales Konsortium , ein koordiniertes Kognitionsprogramm, das sich sowohl auf emotionale Vorgänge als auch auf Wahrnehmungsvorgänge stützt. Dieser Vorstellung hätte sich Freud vorbehaltlos angeschlossen. Die Funktionsweise des Konsortiums wird besonders deutlich beim Treffen komplexer Entscheidungen – vor allem, wenn sie sozialer, ökonomischer oder moralischer Art sind –, denn dann kommen auch Werturteile und mögliche Alternativen ins Spiel. Wir wissen zwar weniger darüber, wie das Gehirn kognitiv-emotionale Informationen verarbeitet, die in ethische Überlegungen einfließen, als über die Verarbeitung kognitiv-perzeptueller Informationen (beim Erkennen von Form, Farbe und Gesichtern), doch in den letzten Jahren konnte man in beiden Bereichen Fortschritte erzielen.
EIN EMOTIONALER REIZ KANN POSITIV und belohnend, negativ und bestrafend oder etwas dazwischen sein. Positive emotionale Reize erzeugen Gefühle des Glücks und des Wohlbefindens; sie wecken in uns das Bedürfnis, ihnen näherzukommen, damit sie uns noch mehr stimulieren. Demnach ruft unsere Reaktion auf Sex, Nahrung, die Zuneigung eines kleinen Kindes oder Suchtmittel, wie Zigaretten, alkoholische Getränke oder Kokain, das positive kognitiv-emotionale Konsortium ab. Negative emotionale Reize – die wir etwa in der wütenden Auseinandersetzung mit einem geliebten Menschen oder mit Kollegen empfangen oder wenn wir uns allein auf einer dunklen Straße befinden – wecken in uns Gefühle von Verlust oder Angst und lassen uns mögliche oder tatsächliche Schäden erwarten. Solchen Situationen wollen wir reflexartig ausweichen oder entkommen. Diese Gefühle aktivieren das negative kognitiv-emotionale Konsortium.
Die Amygdala ist zwar wesentlich daran beteiligt, den emotionalen Gehalt eines Reizes zu bewerten, doch wenn es darum geht, in Form von Annäherung oder Vermeidung zur Tat zu schreiten, gibt das Striatum, das gemeinsam mit Amygdala und Hippocampus unter der Großhirnrinde liegt, als Erster unter Gleichen den Ton an. Es erfüllt diese Aufgabe, indem es sich auf Informationen aus dem präfrontalen Cortex stützt. Während Amygdala und Striatum also Intensität und Färbung einer Emotion bestimmen, ist der präfrontale Cortex die oberste Führungskraft im Gehirn, die Belohnungen und Bestrafungen bewertet und das von den Emotionen ausgelöste Verhalten organisiert (Abb. 22-1 und 22-2).
Abb. 22-1
Abb. 22-2
DER PRÄFRONTALE CORTEX SORGT DAFÜR, dass wir uns an unsere Pläne, seien sie trivial oder hochfliegend, erinnern und dementsprechend handeln. Laut Joaquín Fuster, der sich ausgiebig mit dem präfrontalen Cortex beschäftigt hat, ist dieser das wichtigste
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