Das zweite Königreich
»Vergebt mir die schlechten Nachrichten, Mylord. Es ist endlich passiert. Er ist in England gelandet.«
»Wer? William?« fragte der König fassungslos.
Dunstan starrte ihn einen Augenblick verständnislos an und schüttelte dann wild den Kopf. »Harald Hårderåde von Norwegen. Er … er kam mit dreihundert Schiffen den Tyne hinauf. Vor einer Woche.«
Das Gesicht des Königs war aschfahl geworden, aber seine Stimme klang vollkommen ruhig, als er sagte: »Nur weiter, Dunstan. Hab keine Scheu. Du kommst aus York?«
Dunstan nickte und atmete tief durch.
»Gebt dem Mann zu trinken«, wies der König einen der Diener an, der Dunstan augenblicklich einen Becher brachte. Aber der junge Bote beachtete ihn nicht. Statt dessen senkte er den Kopf; er brachte es nicht fertig, Harold in die Augen zu sehen bei dem, was er ihm zu sagen hatte. »Euer Bruder Tostig erwartete ihn. Euer Verdacht war vollkommen richtig, Tostig war in Schottland und hat König Malcolm Truppen abgeschwatzt. Er und Harald Hårderåde vereinten ihre Armeen und marschierten auf York. Morcar of Northumbria und sein Bruder Edwin, der Earl of Mercia, stellten sich ihnen entgegen, aber … Tostig und Harald Hårderåde haben sie vernichtend geschlagen, Mylord. Morcar und Edwin haben überlebt, heißt es, aber ihre Truppen sind fast bis auf den letzten Mann aufgerieben. Tostig und der König von Norwegen marschierten ungehindert weiter nach York, wo die Stadtbevölkerung sie mit Freuden willkommen hieß. Euren Bruder weniger, aber sie feierten Harald Hårderåde wie einen lang ersehnten Befreier.«
Er verstummte, nahm endlich den Becher, den der Diener ihm geduldig hinhielt, und leerte ihn in einem Zug.
Harold Godwinson hatte das Kinn auf eine Faust gestützt und dachtenach. Seine Augen wirkten kleiner als gewöhnlich, so als litte er an Schlafmangel, und ein grauer Schatten lag auf seinem Kinn. Schließlich schien er sich einen Ruck zu geben und richtete sich auf. »Es ist gut, Dunstan. Geh hinunter in die Küche und iß und trink, und jemand soll deine Wunden versorgen und dir neue Kleidung beschaffen. Deine Neuigkeiten sind in der Tat furchtbar, aber du hast mir gute Dienste erwiesen. Das werde ich nicht vergessen.«
Dunstan erhob sich, verneigte sich tief vor seinem König und wandte sich ab.
Harold wartete, bis er wieder allein mit seinen engsten Beratern war. Dann stützte er die Ellbogen auf den Tisch und sah aufmerksam in die Runde. »Nun, Mylords? Wie es scheint, hat der Nordwind, der William seit Wochen in der Normandie festhält, Harald Hårderåde geradewegs an die englische Küste geweht. Was, denkt Ihr, sollen wir tun?«
Nach einem kurzen, nachdenklichen Schweigen sagte sein Bruder Gyrth: »Es wird uns nicht viel anderes übrigbleiben, als mit Tostig und Harald Hårderåde zu einer Einigung zu kommen. Sollen sie Northumbria meinetwegen behalten, es war seit jeher ein Wikingernest. Sie haben Edwin of Mercia geschlagen? Bitte, sollen sie auch noch Mercia nehmen. Was kümmert es uns? Wir dürfen den Süden nicht entblößen. William kann jeden Tag hier landen, und er will nicht Northumbria, sondern deine Krone.«
»Die will Harald Hårderåde auch«, gab Ælfric of Helmsby zu bedenken. »Ich glaube nicht, daß er sich mit Northumbria und Mercia zufriedengäbe.«
»Das ist letztlich alles eine Verhandlungsfrage«, warf Waltheof, der Earl of Huntingdon, ein. »Auch dem König von Norwegen ist der Spatz in der Hand sicherlich lieber als die Taube auf dem Dach.«
»Ich finde es ausgesprochen befremdlich, daß Ihr die Nordhälfte Englands als ›Spatz in der Hand‹ bezeichnet, Mylord«, entgegnete der Thane of Kitridge schneidend.
Ælfric gab ihm recht. »Die Leute in Northumbria mögen Harald Hårderåde freundlich gesinnt sein, aber sie wollen keine Trennung von England. Das hätten wir letzten Sommer gemerkt. Doch die Frage scheint mir nicht so sehr, was sollen wir tun, sondern was können wir tun? Was, wenn wir nach Norden ziehen, und in der Zwischenzeit fällt der normannische Bastard über Englands Süden her?«
Der König hob kurz die Hand und beendete damit die Debatte. Miteinem bitteren kleinen Lächeln sagte er: »Vermutlich sollten wir uns geehrt fühlen. Es gibt zwei Männer, von denen behauptet wird, sie seien die größten Heerführer unseres Zeitalters. Der eine ist Harald Hårderåde von Norwegen, der andere William von der Normandie. Beide haben es auf uns abgesehen. Vielleicht sollten wir alle nach Irland fliehen und die
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