Das zweite Königreich
direkt zu Cædmon: »Sagt dem Bastard, wir beugen uns seinem Schwert, damit er seinen Krieg gegen Bauern, Frauen und Kinder einstellt. Wir haben keine andere Wahl. London ist abgeschnitten. Tausende würden verhungern, wenn wir weiter Widerstand leisten. Er hat seinen gottverfluchten Krieg gewonnen. Sagt ihm das.«
»Auch der Earl of Mercia entbietet Euch seinen Gruß. Er ist zu der Einsicht gekommen, daß es nicht zum Wohl des englischen Volkes ist, weiterzukämpfen, und daß er sich in das Unvermeidliche fügen muß.« William trat mit verschränkten Armen einen Schritt näher und blieb direkt vor Cædmon stehen. »Wenn ich Euch noch einmal dabei ertappe, daß Ihr schönfärbt, statt zu übersetzen, lasse ich Euch die Zunge herausreißen. Ich habe das Wort sehr genau verstanden, mit dem der Earl of Mercia mich zu bezeichnen beliebte.«
Cædmon schluckte. Auf dem Markt in Rouen hatte er einmal einen Gaukler gesehen, der auf einem Seil balancierte, das zwischen zwei hohen Pfosten gespannt war. Genauso fühlte er sich jetzt. »Ich war der Ansicht, es sei meine Aufgabe, Verständigung herbeizuführen, Monseigneur, nicht Groll zu schüren. Darum habe ich mich auf das Wesentliche beschränkt.«
»Übersetzt, was sie sagen, und überlaßt gefälligst mir zu entscheiden, was das Wesentliche ist.«
Cædmon nickte.
Der Austausch war leise und in höflichem Tonfall vonstatten gegangen. Und die Stimme des Herzogs änderte sich auch jetzt nicht, als er fortfuhr: »Ratet dem Earl of Mercia zur Mäßigung, und laßt ihn wissen, daß ich morgen in London einzumarschieren gedenke.«
Cædmon wandte sich an den jungen Earl. »Mylord, wenn Ihr England und Mercia einen Dienst erweisen wollt, dann wählt Eure Worte mit mehr Bedacht. Und der Herzog läßt Euch sagen, daß er morgen nach London ziehen wird.«
Edwin machte ein Gesicht, als habe er in einen unreifen Apfel gebissen, aber ehe er etwas erwidern konnte, trat der junge Edgar Ætheling vor. Zwei rote Flecken brannten auf den Wangen seines hübschen, ebenmäßigen Gesichts. »Wer seid Ihr, daß Ihr es wagt, so mit dem Earl of Mercia zu reden? Was seid Ihr nur für eine Kreatur, Cædmon ofHelmsby, ein Engländer, der mit unseren Unterdrückern gemeinsame Sache macht! Wie könnt Ihr Euch nur selbst ertragen? Ich glaube, ich wäre lieber tot!«
»Das werdet Ihr auch sehr bald sein, wenn Ihr Euch nicht vorseht«, erwiderte Cædmon hitzig. »Ihr solltet alt genug sein zu erkennen, daß gerade Euer Leben am seidenen Faden hängt.«
»Cædmon …«, sagte William leise, in diesem ausdruckslosen Tonfall, der so gar nichts Gutes verhieß.
Cædmon ballte einmal kurz die Fäuste und atmete tief durch. »Ich bitte um Verzeihung, Monseigneur. Ich wurde persönlich angegriffen und … Ich hoffe, Ihr billigt mir zu, daß meine Aufgabe nicht leicht ist und ich mich erst daran gewöhnen muß.«
»Das solltet Ihr lieber bald tun.«
Die englischen Lords tauschten unbehagliche Blicke und raunten aufgebracht untereinander. Die so schwierige Unterredung drohte vollends zu scheitern, als der Erzbischof von York das Wort ergriff und an William gewandt sagte: »Mylord, ich hoffe, Ihr werdet uns nachsehen, daß nicht jeder von uns in der Lage ist, das Schicksal, vor das Gott uns alle gestellt hat, klaglos hinzunehmen. Doch wozu wir eigentlich hergekommen sind, ist, um Euch folgendes zu sagen: Das englische Volk soll nicht weiter unter den Folgen von Harold Godwinsons Eidbruch und der Fehlentscheidung des Witenagemots leiden. Die Lords haben mich ermächtigt, Euch in unser aller Namen die englische Krone anzutragen.«
Cædmon spürte sein Herz in seiner Kehle flattern, aber seine Stimme zitterte nicht, als er die kleine Ansprache des Bischofs übersetzte.
William lauschte mit unbewegter Miene, und als Cædmon geendet hatte, verneigte er sich knapp vor dem Bischof und erwiderte: »Um Euretwillen bin ich froh, daß Ihr zu dieser weisen Einsicht gekommen seid, und akzeptiere Euer Ansinnen, denn diese Krone steht mir von Rechts wegen und von Gottes Gnaden zu. Und ich gelobe meinerseits, daß ich dem englischen Volk ein gerechter Herrscher sein und alles tun werde, das in meiner Macht steht, um seinen Frieden zu wahren und seine Küsten zu verteidigen.«
Cædmon sah ihn einen Moment entgeistert an, aber er fand nicht das leiseste Anzeichen von Spott in seinem Ausdruck – offenbar war dem Herzog die Ironie seiner letzten Worte nicht bewußt. Er übersetzte ergeben und hoffte, die Lords würden
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