Das zweite Königreich
Enkel des großen Leofric, der überall im Norden beliebt war, schloß sich den dänischen Truppen an. Nördlich des Tees herrschte ein heilloses Chaos, und König Malcolm von Schottland nutzte die Gunst der Stunde und errang dort die Oberhand. Plötzlich schien alles möglich, ein skandinavisch beherrschtes Nordengland oder aber ein englisches Nordreich mit dem »kleinen« Edgar Ætheling auf dem Thron, unterstützt von seinem mächtigen Schwager, dem König von Schottland.
Doch sie alle hatten die Rechnung ohne William den Bastard gemacht. Er marschierte sofort nach Norden, außer sich vor Zorn, um die Dänen davonzujagen und die halsstarrigsten all seiner Untertanen endlich zu unterwerfen, in der kriegerischsten all seiner Provinzen endgültig für Ruhe zu sorgen. Jedes Mittel war ihm recht.
Cædmons hartnäckige Weigerung, sich die Haare nach normannischer Sitte zu scheren, rettete ihm das Leben. Als alles vorbei war, jeder einzelne Normanne der Garnison abgeschlachtet, fanden sie ihn zwischen den Toten und Sterbenden. Die Schotten hielten ihn für einen Dänen, die Dänen glaubten, er sei Engländer, und den Engländern warvöllig gleich, was er war, Hauptsache keiner der verdammten Normannen. Niemand beachtete ihn, als er sich auf den Weg zum geborstenen Tor machte. Er ging langsam wie ein Schlafwandler, und er hinkte, obwohl er bis auf ein paar Kratzer völlig unverletzt war. Er hinkte, weil er unter Schock stand, weil er so ratlos und entsetzt und erschüttert war wie an dem Tag, als das Drachenschiff den Ouse hinaufgekommen war und Eriks Pfeil seiner unbeschwerten Kindheit ein jähes Ende gesetzt hatte.
Er sah sich so wenig wie möglich um und spürte Erleichterung, als er aus dem Burgtor trat. Draußen trugen die Dänen die magere Beute zusammen, die sie in der Burg hatten finden können, und sammelten sich. Cædmon lauschte ihrem unmelodischen Gekrächz. Die einzigen Worte, die er zweifelsfrei identifizieren konnte, waren »Humber« und »Axholme«. Offenbar wollten sie sich dorthin zurückziehen, und vermutlich würden sie von dort aus einen Boten zu ihrem König Sven schicken, um ihm die frohe Nachricht zu bringen, daß York ihnen in die Hände gefallen war wie eine reife Frucht.
Cædmon sammelte seinen Verstand, machte kehrt, ging wieder durch das zersplitterte Tor und betrat den Pferdestall. Es grenzte an ein Wunder, aber Widsith stand immer noch da, wo er ihn gelassen hatte. Vermutlich wagt keiner der tapferen Wikinger, ein normannisches Schlachtroß zu reiten, dachte er, sattelte seinen treuen Gefährten und brach auf, um seinem König als einziger Überlebender die schlechte Kunde zu bringen. Keine sehr dankbare Aufgabe.
Nachdem Hyld und Erik den Humber überquert hatten, wurde aus den versprengten dänischen Trupps, die sie hier und da überholt hatten, ein stetiger Strom. Viele marschierten, ebenso viele ritten erbeutete Pferde, und alle zogen sie zur Isle of Axholme.
Im Schutz der Nacht überfiel Erik unter heftigen Gewissensbissen einen schlafenden Landsmann und stahl ihm Kettenhemd, Helm und Waffen. So gerüstet, wurde er praktisch unsichtbar unter all den Soldaten. Den ganzen nächsten Tag ritten er und Hyld mit einem Zug von wenigstens hundert Männern, und kaum hatten sie den Trent überschritten, begannen die Sümpfe.
»Bei Odins Eiern, was für ein Land. Wälder, durch die man keinen Weg findet, oder Sümpfe«, brummte der hünenhafte Mann neben Erik und spuckte angewidert ins Schilf.
Erik gab ihm aus vollem Herzen recht. »Aber sei froh, daß wir nicht im Juli hier durch müssen, da fressen einen die Mücken auf.«
Es war heraus, ehe ein unauffälliger Fußtritt von Hyld ihn warnen konnte.
»Du warst schon mal hier?« fragte der Däne verwundert.
»Ähm … mein Vater hat’s mir erzählt.« Erik war nie um eine Lüge verlegen.
Der andere nickte. »Ich hab dich noch nie gesehen. Auf welchem Schiff warst du?« fragte er.
»Auf der Emma. « Das konnte er getrost behaupten, denn es gab einfach keine dänische Flotte ohne ein prachtvolles Drachenschiff, das nach der großen Königin benannt war – von der nicht wenige behaupteten, sie sei selbst ein Drachen gewesen. Blieb nur zu hoffen, daß sein neugieriger Gefährte nicht zur Besatzung der Emma zählte. »Und du?«
»Auf der Goda . Wer befehligt die Emma ?«
»Gib acht, Freund, das Schlammloch da vorn sieht nicht gut aus, und du hältst genau drauf zu.«
Der Däne korrigierte seinen Kurs und vergaß darüber
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