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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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glücklicherweise seine Frage. »Wir brauchen Flöße, sonst werden wir allesamt ersaufen.« »Tja, nur leider steht hier weit und breit kein Baum …« Die Hufe der Pferde verursachten zunehmend beunruhigende, schmatzende Geräusche auf dem trügerischen Untergrund. Wie auf ein verabredetes Zeichen saßen die Männer ab und führten die Pferde, ertasteten mit dem Fuß argwöhnisch den Boden vor sich, ehe sie ihm ihr Gewicht anvertrauten.
    »Wer ist der Bengel, der mit dir reitet?« wollte der Däne wissen.
    »Mein Bruder. Ich konnte ihn nirgendwo lassen, darum mußte er mitkommen. Er ist stumm, seit er vor zwei Jahren das Fieber hatte, aber dafür ist er ziemlich helle.«
    Erik spürte Hylds wütenden Seitenblick und gönnte sich ein breites Grinsen. Sie hatte lange genug in York gelebt, um dänisch zu verstehen, aber sie konnte fast kein Wort sprechen. Außerdem hätte ihre helle Stimme sie sofort verraten. Es war also das einzige, was er hatte sagen können, aber er mußte gestehen, es bereitete ihm ein diebisches Vergnügen, daß sie ihm keine Widerworte geben konnte, solange sie hier waren.
    Das Grinsen verging ihm bald. Die Durchquerung des Moors wurde mörderisch. Nur wenige Schritte vor ihnen versank ein Mann imTreibsand. Zusammen mit ein paar anderen versuchte Erik, ihn zu retten, sie legten sich auf den Bauch, bildeten eine Kette und warfen ihm einen Lederzügel zu, doch es war schon zu spät. Der brackige, braune Sumpf schien den armen Tropf regelrecht hinabzusaugen, und er ging schreiend unter. Der dunkle Schleim schloß sich sogleich über seinem Kopf, nur ein paar Luftblasen verrieten noch, was geschehen war.
    Als sie der Verzweiflung nahe waren, kamen die Flöße. Die Dänen, die während des Sturms auf York in Axholme verblieben waren, hatten die Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sie hatten die kleinen Gehölze der inselartigen Ebene gefällt, um eine halbwegs sichere Befestigung zu bauen und eben auch ein paar Flöße, die sie den Ankömmlingen entgegenschickten, sobald sie sie kommen sahen.
     
    Das dänische Heer umfaßte gut dreitausend Mann, von denen sich etwa zwei Drittel im Laufe der nächsten Tage auf der Isle of Axholme einfanden. Ein paar hundert sicherten die Flotte im Humber, die übrigen waren in York gefallen oder in den Sümpfen umgekommen.
    Das von einem Palisadenring umgebene Lager bestand aus einem Sammelsurium von Zelten unterschiedlichster Größe. Das prächtigste beherbergte die beiden dänischen Prinzen und ihren Onkel, die den Feldzug anführten. Gekocht und gegessen wurde unter freiem Himmel. Hyld taumelte im Zustand fortdauernden Entsetzens durch diese Männerwelt. Niemand wusch sich je. Das Essen war halbroh und vollkommen ungenießbar. Die ewigen Zoten widerten sie an, und die unbeschreiblichen Latrinen unter freiem Himmel stellten sie vor das nicht unerhebliche Problem, wie sie ihren natürlichen Bedürfnissen folgen sollte, ohne vor Scham einzugehen und vor allem ohne daß irgendwer ihr auf die Schliche kam. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als bis zum Einbruch der Nacht zu warten …
    Systematisch suchten sie das Lager nach Eadwig ab. Sie fingen am westlichen Ende an und arbeiteten sich langsam vor. Erik platzte ungehemmt in jedes Zelt, sah sich kurz um, murmelte eine Entschuldigung, kam wieder heraus und schüttelte den Kopf. Nach zwei Tagen hatten sie den Ostrand des Lagers erreicht, ohne auch nur die geringste Spur von Hylds Bruder zu finden.
    »Gott, er ist nicht hier«, sagte Hyld mutlos, als sie sich zur Lagebesprechung am Ufer des kleinen Flusses außerhalb der Palisaden trafen. Sie stützte die Stirn auf die Faust. »Es war alles umsonst.«
    Erik warf einen raschen Blick über die Schulter, ehe er ihre Hand nahm. Er zog sie kurz an die Lippen, aber er sagte nichts.
    Sie hob den Kopf. »Denkst du, er ist tot, Erik?«
    »Wir müssen zumindest damit rechnen. Aber noch solltest du nicht alle Hoffnung aufgeben, weißt du.«
    »Aber wo soll er sein?« wandte sie verzweifelt ein. »Wir waren in jedem Zelt!«
    »Es ist immerhin möglich, daß sie ihn bei den Schiffen gelassen haben …«
    »Glaubst du das?«
    Er mußte sich zwingen, ihre bange Hoffnung zunichte zu machen. »Nein. Ehrlich gesagt nicht.«
    Sie senkte den Kopf auf die angezogenen Knie.
    »Es gibt allerdings noch ein Zelt, wo wir nicht waren«, sagte Erik bedächtig.
    Ihr Kopf ruckte hoch. »Welches?«
     
    Es schüttete wie aus Kübeln, und die Nacht war so schwarz, daß man buchstäblich die

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