Das zweite Königreich
nachdem er von Helmsby aufgebrochen war.
Der König nickte und fuhr sich kurz mit der Hand über die Stirn. »Ich weiß, ich weiß. Ihr habt Wort gehalten, und das werde ich auch tun. Steht schon auf. Und berichtet uns von York.«
Cædmon schilderte, was er gesehen und erlebt hatte, und sein Mund wurde immer trockener. Er hatte schon gelegentlich erlebt, wie diese unheimliche, eiskalte Wut in William aufstieg – der König war ein jähzorniger Mann, und es geschah relativ häufig. Diese Wut war schon am Werk gewesen, als Cædmon eintrat. Er hatte sie auf den ersten Blick erkannt, darum war er schlagartig nervös geworden. Jetzt fing er an zu schwitzen. Der König lauschte ihm schweigend, nichts regte sich in seinem Gesicht. Aber Cædmon sah einen Zorn in seinen Augen, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Er hatte etwas Unmenschliches, etwas ganz und gar Erbarmungsloses an sich, das Cædmon mit einem hilflosen, kläglichen Entsetzen erfüllte.
»Ihr sagt nicht viel über die Leute von York, Cædmon«, bemerkteWilliam ausdruckslos, als er geendet hatte. »Haben sie Widerstand geleistet? Oder sind sie geflohen?«
Cædmon schüttelte den Kopf und senkte den Blick. »Nein, Sire. Manche mögen geflohen sein, aber sie … haben keinen Widerstand geleistet.«
»Sondern den Dänen und Schotten und englischen Verrätern die Tore geöffnet und sie überschwenglich willkommen geheißen, das wolltet Ihr doch sagen, nicht wahr?«
»Ja.« Es klang tonlos. Cædmon räusperte sich. »Ja, ich fürchte, so war es.«
»So wie überall in Northumbria«, murmelte fitz Osbern, Etiennes Vater. Selbst ihn machte die Stimmung des Königs offenbar beklommen. »Kein Wunder, daß die Dänen nach York zurückziehen. Ich bin überzeugt, sie wollen dort überwintern. Unter Freunden, könnte man wohl sagen«, schloß er bitter.
»Aber York ist nur noch ein Haufen verkohlter Trümmer«, wandte Cædmon ein, zu nervös, um seine Zunge zu hüten.
Der König nickte versonnen. »Ja, ja. Aber ein befestigter Trümmerhaufen …«
»Wir sollten auf keinen Fall zulassen, daß sie sich in der Stadt verschanzen«, meinte Robert, der Halbbruder des Königs. »Eine Winterbelagerung mit der feindseligen Bevölkerung und der schottischen Bedrohung in unserem Rücken ist zu riskant. Wir …«
»Du hast recht, Robert«, stimmte der König leise zu. »Und ich schwöre euch, nicht die Dänen, sondern wir werden Weihnachten in York verbringen. Auf dem Weg dorthin werden wir uns des Problems der aufrührerischen Bevölkerung … entledigen. Und die Dänen können nach Hause segeln oder im winterlichen northumbrischen Ödland verhungern.«
Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann fragte sein Bruder: »William, was habt Ihr vor?«
Der König trat achtlos an ihm vorbei und schlug den Zelteingang zurück. »Lucien.«
»Mein König?«
»Seht Ihr die Schafherden dort drüben?«
»Ja, Sire.«
»Nehmt fünfzig Männer, reitet auf die Weiden und macht sie nieder.« »Ja, Sire.«
»Dann reitet Ihr weiter in dieses Dorf dort unten, tötet das Vieh und verbrennt die Ernte in den Scheunen. Auch das Saatgut.«
»Ja. Sire.«
»William …«, begann Robert in seinem Rücken, und der König fuhr zu seinem Bruder herum.
»Sei still! Sag kein Wort, Robert, tu uns beiden den Gefallen.« Sein erhobener Zeigefinger zitterte leicht.
Er drehte sich wieder zu Lucien um. »Und dann, Lucien, wenn Ihr mit dem Vieh und der Ernte fertig seid, tötet Ihr die Männer.«
Vor dem Zelt war keine Antwort zu hören.
»Lucien? Habt Ihr mich verstanden?«
»Ja. Ich … ich habe verstanden, Sire.«
»Gut. Tötet die Männer, am besten auch die Knaben. Was Ihr mit den Frauen macht, ist mir gleich. Dann reitet Ihr weiter zum nächsten Dorf, und dort tut Ihr dasselbe. Und so weiter. Und morgen, wenn wir nach York ziehen, werdet Ihr ausschwärmen und Euer Werk fortsetzen, Ihr und jeder meiner Männer, der mir ergeben ist. Tötet jeden, der Widerstand leistet. Und vor allem, vernichtet die Ernte. Wenn die Leute von Northumbria hungrig genug sind, werden sie schon zahm. Und wenn ihre dänischen und schottischen Befreier keinen Proviant mehr finden, werden sie die Lust verlieren und nach Hause gehen.«
Lucien de Ponthieu besaß zumindest genug Anstand, sich unbehaglich zu räuspern, ehe er sagte: »Ich werde tun, was Ihr wünscht, mein König.«
»Nein! Warte, Lucien!« Cædmon trat einen Schritt vor.
Der Bruder des Königs legte ihm eine warnende Hand auf die Schulter. »Macht Euch
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