Das zweite Königreich
nicht unglücklich, Junge«, raunte er. »Hier ist ohnehin jedes Wort verschwendet.«
Cædmon hörte ihn nicht. Er riß sich los, beging die unverzeihliche Anmaßung, den König leicht am Arm zu berühren, so daß William sich zu ihm umwandte, und fiel vor ihm auf die Knie. »Das könnt Ihr nicht tun!«
Die Männer im Zelt und Lucien, der im Eingang stand, starrten ihn mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen an. Der Bruder des Königs trat unauffällig einen halben Schritt zurück, als versuche er unbewußt, sich von ihm zu distanzieren. Er mochte Cædmon of Helmsby gern, aber mit diesem selbstmörderischen Irrsinn wollte er lieber nichts zu schaffen haben.
Der König sah ausdruckslos auf Cædmon hinab, nur seine Stimme verriet eine gewisse Verblüffung. »Wie war das?«
»Tut das nicht, Sire, ich … flehe Euch an. Ihr habt ja recht, die Northumbrier sind rebellisch und waren es immer schon; selbst den angelsächsischen Königen wollten sie keine Gefolgschaft leisten …« Es war ein hastiger Wortschwall, und er unterbrach sich, versuchte, sich zusammenzureißen, und atmete tief durch. Zum erstenmal bemerkte er die vollkommene Stille im Zelt. »Aber es wäre … ein furchtbares Verbrechen. Eurer nicht würdig.«
Nur ein winziges Blinzeln verriet, daß William in seinem rasenden Zorn nicht völlig taub geworden war. Ohne Hast, mit bedächtigen Bewegungen zog er sein Schwert und setzte Cædmon die Spitze an die Kehle. »Nur weiter.«
Cædmon schloß die Augen. »Es sind doch nur Bauern, sie … stellen doch keine Gefahr dar. Und es sind Engländer, und Ihr … Ihr habt geschworen, ihnen ein gerechter König zu sein. Aber wenn Ihr das tut, was Ihr vorhabt, werden sie alle verhungern. Ihr seid ein gottesfürchtiger, frommer Mann, Sire. Doch … was Ihr tun wollt, wird Gott Euch nicht vergeben …« Er brach ab.
Einen Augenblick spürte er die kühle Klinge noch unterhalb seines Adamsapfels, aber sie stieß nicht zu, sondern verschwand. Cædmon hob den Kopf und sah William sein Schwert einstecken. Dann blickte der König kopfschüttelnd auf ihn hinab. »Wißt Ihr, Euer Mut hat mir immer gefallen, aber Ihr verschwendet ihn seit jeher an Dinge, die es nicht wert sind.« Dann fuhr er zu Lucien herum und wies mit dem Finger auf Cædmon, der immer noch reglos am Boden kniete. »Sperrt ihn ein. Und befreit ihn von der Verräterhand, die er gegen mich erhoben hat.«
Lucien nickte, packte Cædmons linken Arm, zerrte ihn auf die Füße und in den unablässigen Oktoberregen hinaus. Cædmon torkelte neben ihm her, fühlte ein Brausen wie ein Sturm in seinen Ohren, sein Gleichgewichtssinn schien nicht mehr vorhanden, und er hatte den Verdacht, daß er im Begriff war, in Ohnmacht zu fallen.
»Welche war’s denn?« fragte er atemlos. »Links oder rechts?«
»Ich habe keine Ahnung, Cædmon«, antwortete Lucien gleichgültig. Er winkte zwei seiner Männer zu sich, die ihnen zu einem abgelegenen, kleinen Zelt am Rande des Lagers folgten, gleich am Bachufer. Es war die Waffenschmiede. Mit einem Blick schickte Lucien den Schmied hinaus.Die Glut in der Esse verströmte eine dumpfe Hitze, fast sofort begannen ihre Mäntel zu dampfen. Ein geborstenes Schwert lag auf der Werkbank. Cædmon starrte gebannt auf den Amboß und rechnete damit, daß Lucien ihn auffordern würde, die Hand, von der er sich besser trennen konnte, daraufzulegen. Er war keineswegs sicher, daß er es fertig bringen würde. Er riß den Blick mit Mühe von dem massiven Block los und sah in das Gesicht, das Aliesas so sehr glich. »Ich glaube nicht, daß ich so gut damit fertig werde wie du«, gestand er offen.
Lucien schüttelte ungeduldig den Kopf. »Mach dir nicht in die Hosen, ich werde dir keine Hand abhacken.« Er sah zu seinen Männern. »Albert, du gehst und holst sein Pferd. Ein großer Apfelschimmel mit irgendeinem unaussprechlichen angelsächsischen Namen. Und du besorgst ihm Proviant, Pierre. Beeilt euch und seid unauffällig. Dann gebt den anderen Bescheid, sie sollen satteln lassen. Wir brechen in einer halben Stunde auf.«
Die Männer nickten und traten hinaus.
Cædmon sah ihnen verwirrt nach. »Aber … was tust du?«
»Wonach sieht es denn aus?«
»Du willst, daß ich fliehe?«
»So ist es. Sollte der König auf die Idee kommen, nach dir zu fragen, werde ich sagen, du habest mich überrumpelt. Er wird nicht beglückt sein, aber er wird es verzeihen, weil er einen solchen Narren an dir gefressen hat.«
»Und deine Männer?«
»Sind
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