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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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dem König sehr ergeben, aber mir noch eine Spur ergebener. Sie werden schweigen.«
    »Wieso … wieso tust du das?« fragte Cædmon verständnislos.
    Lucien betrachtete ihn ohne alle Sympathie. Dann zuckte er ungehalten mit den Schultern. »Was weiß ich. Vielleicht, weil meine Schwester so große Stücke auf dich hält. Oder vielleicht, damit dein untadeliger Ruf endlich einmal Schaden nimmt. Deine unbefleckte Ehre ist mir seit Rouen ein Dorn im Auge. Oder vielleicht … vielleicht weil ich hoffe, daß Gott dann wenigstens mir vergibt, wenn schon nicht dem König.«
    »Aber er kann dich doch nicht zwingen, gegen deine Überzeugung …« Lucien schnitt ihm mit einer barschen Geste das Wort ab. »Doch, natürlich kann er das. Er ist der König , wann wirst du das endlich begreifen? Und täusch dich nicht, ich verabscheue dieses ganze rebellischeEngländerpack genauso wie dich, es wird mir nicht den Schlaf rauben, ihnen eine Lektion zu erteilen.«
    Doch, dachte Cædmon, das wird es. »Lucien, ich beschwöre dich, laß ihnen wenigstens die Chance zu überleben. Du kannst …«
    »Da ist dein Pferd, Cædmon. Sitz auf und verschwinde, oder leg die Hand auf den Amboß. Mir ist es gleich, aber tu eins von beiden, und zwar jetzt gleich.«
    Cædmon trat aus dem Zelt. Über die Schulter sagte er: »Danke, Lucien.«
    »Ja, ja. Sieh zu, daß du wegkommst. Ich hoffe, du brichst dir den Hals.«

Salby, November 1069
    »Oh, heiliger Oswald, steh uns bei, sie kommen! Sie kommen!« schrie eine schrille, junge Frauenstimme in Panik.
    Die Strahlen der fahlen Novembersonne fielen schräg in den schlammigen Innenhof und spiegelten sich gleißend in den großen Pfützen. Der kurze Nachmittag ging zur Neige.
    Vielleicht zwei Dutzend Reiter mit Fackeln preschten durch das Tor in der Hecke und ritten die beiden Männer, die es bewacht hatten, achtlos nieder. Man konnte sehen, daß ihr Manöver nach einem exakten Plan ablief: Zwei Reiter blieben am Tor und versperrten den Fluchtweg. Die übrigen schwärmten aus und warfen ihre Fackeln auf die Strohdächer der Vorratshäuser. Dann saßen sie ab, und während die einen das Vieh aus den Ställen trieben, um es abzuschlachten, stürmten die restlichen in die Halle.
    »Sieh nicht hin, Eadwig«, wisperte Hyld tonlos. »Du auch nicht, Leif. Schließt die Augen.«
    Aber die beiden Jungen starrten gebannt zwischen den Ritzen ihres Verstecks hindurch nach draußen, während Irmingard die Hände vor die Augen preßte. »Gott, mir ist schlecht. Mir ist so schlecht«, wimmerte sie.
    »Schsch.« Hyld legte ihr die Hand auf die eiskalte, feuchte Stirn. »Ganz ruhig. Tief durchatmen. Du mußt dich zusammennehmen, bitte.«
    Ihre junge Schwägerin nickte matt und versuchte, in gleichmäßigen, tiefen Zügen zu atmen.
    Der kleine Olaf hatte das Gesicht an der Brust seiner Mutter vergraben und zitterte. Er sah nicht, was draußen passierte, und er verstand nicht, was vorging, aber seit Tagen hatte er die zunehmende Angst der Erwachsenen gespürt, und sie erfüllte ihn mit maßlosem Schrecken.
    Hyld strich ihm sanft über den Kopf und verfluchte sich, daß sie mit den Kindern nicht nach York zurückgekehrt war, sobald die ersten Gerüchte von den normannischen Todesreitern sie erreicht hatten. Aber die Geschichten hatten so phantastisch geklungen, daß sie sie anfangs nicht hatte glauben können. Wie die Schauermärchen über Waldgeister und Sumpfhexen. Außerdem hatte sie Erik versprochen, daß sie hierher zurückkehren und auf ihn warten würden, bis die Dänen abzogen oder der dänische Prinz ihn aus seinen Diensten entließ. Erik hatte sie schwören lassen, daß sie nicht allein nach York zurückkehren würde, er hielt es für zu gefährlich. Aber natürlich hatte er nicht ahnen können, daß dieser Teufel von einem normannischen König seine Soldaten ausschicken würde, um das Volk von Northumbria heimzusuchen. Und als Hyld erkannte, daß all die Geschichten, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen, keine Märchen waren, war es schon zu spät. Wäre sie aufgebrochen, wäre sie ihnen in die Arme gelaufen.
    Draußen vor ihrem Versteck schrien Mensch und Tier in Todesangst. Die wenigen Männer, die nicht in die Wälder geflüchtet waren, wurden genau wie die Kühe abgeschlachtet, egal ob Housecarl oder Sklave. Frauen riefen Männernamen oder schrien vor Angst und Schmerz, während die normannischen Soldaten sie schändeten. Keine zehn Schritte von ihnen entfernt holte einer eine fliehende Magd ein,

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