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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Haaren und brachte sie auseinander, so daß sie ihr lose bis auf die Hüften fielen. »Das wäre aber doch wirklich schade gewesen, wenn du mir durch die Lappen gegangen wärst, was, Engel …«
    Hyld riß ihren Kopf weg und blickte zu dem Offizier im Sattel auf. Als er ihr Gesicht sah, weiteten seine Augen sich entsetzt.
    »Verflucht sollt ihr alle sein«, sagte sie in ihrem reinsten Normannisch, mit aller Ruhe, die sie aufbringen konnte. »Verflucht sollt ihr sein! Und wenn du eine Schwester hast, dann soll ihr das gleiche passieren, was mir heute hier passiert.«
    Die grünen Augen starrten sie immer noch unverwandt an. »Wer bist du?«
    »Was kümmert es dich?«
    »Sag mir deinen Namen!«
    »Ich bin Hyld of Helmsby.«
    Sein Mund verzog sich spöttisch nach oben, er schien eigentümlich erleichtert. »Dann hat es dich weit nach Norden verschlagen, Hyld ofHelmsby.« Er nickte dem Soldaten knapp zu. »Laß sie los. Sie und alle, die zu ihr gehören, können gehen.«
    Wütend stieß der Soldat sie weg und knurrte. »Dann sieh zu, daß du Land gewinnst, du Luder.«
    Hyld starrte den einarmigen Offizier ungläubig an, aber sie faßte sich schnell. Sie gedachte nicht, ihr Glück zu hinterfragen. Hastig hockte sie sich vor die Luke. »Kommt raus«, sagte sie leise. »Uns geschieht nichts.«
    Leif kam als erster, gefolgt von Irmingard, Eadwig bildete mit Olaf die Nachhut. Sie hielten die Köpfe gesenkt und blickten sich so wenig wie möglich um, wollten die Toten nicht sehen, die zusammengekrümmt im Schlamm lagen, oder die abgeschlachteten Schafe und Ziegen und Kühe und die weinenden Frauen. Hyld sah sie alle. Kein noch so winziges Detail blieb ihr erspart. Rauchwolken quollen von den brennenden Vorratshäusern auf, die Luft war von einem durchdringenden, bitteren Brandgeruch erfüllt, und heiße Asche regnete herab. Sie hob Olaf hoch, der das Gesicht an ihren Hals preßte und leise weinte.
    Sie wandte sich noch einmal zu dem Offizier um, denn auf einmal wollte sie eine Erklärung für all dies. Es schien ihr plötzlich furchtbar wichtig. Doch der Reiter war verschwunden.
    Sie führte ihre kleine Reisegesellschaft zum Tor in der brennenden Hecke und wandte sich nach Süden.
    »Hyld«, sagte Leif nach wenigen Schritten. »York liegt in entgegengesetzter Richtung.«
    Sie hielt nicht an. »Wir gehen nicht nach York, Leif.«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie die Ernte verbrennen und das Vieh abschlachten. In York wird es eine Hungersnot geben. Im ganzen Norden.«
    »Aber wie soll Erik uns finden, wenn wir nicht heimgehen?« wandte Irmingard angstvoll ein. Sie war furchtbar verstört. Ihre Augen wirkten fiebrig, und zwei kleine rote Punkte brannten auf den Wangen in ihrem bleichen Gesicht.
    Hyld lächelte ihr aufmunternd zu. »Er wird uns finden, sei unbesorgt.« »Gehen wir nach Helmsby?« fragte Eadwig hoffnungsvoll.
    »Ja.«
    Aber was sie tun sollte, damit sie nicht alle verhungerten, lange bevor sie nach Helmsby kamen, das wußte Hyld beim besten Willen nicht.

Metcombe, Dezember 1069
    Seit dem frühen Nachmittag tobte ein Schneesturm, daß man meinen konnte, das Ende der Welt sei nun doch endlich gekommen. Es war den ganzen Tag nicht richtig hell geworden – kaum war die Sonne aufgegangen, schoben sich vom Meer die dicken, schwarzen Wolken heran und hüllten die stille Winterlandschaft in gespenstisches Zwielicht. Jetzt war es kurz vor Mitternacht, und der Wind heulte immer noch mit Dämonenstimmen um die Mühle, rüttelte an den Läden und ließ die Balken knarren.
    Hengest lag mit offenen Augen im Bett und lauschte. Dann richtete er sich auf. »Da klopft jemand.«
    »Unsinn«, sagte die Müllerin. »Das ist der Sturm.«
    Doch als die Faust wieder an die Tür hämmerte, konnte es keinen Zweifel geben.
    Hengest wollte von ihrem Strohlager aufstehen, aber sie packte seinen Ärmel. »Mach nicht auf! Nur der Wilde Hirte könnte in einer Nacht wie dieser umgehen.«
    Der Müller lachte leise. »Laß das nicht Vater Wilfred hören …«
    Im Herd war noch ein bißchen Glut. Er zündete einen Kienspan an, führte ihn an den Strohdocht der Öllampe und trug sie zur Tür. »Wer ist da?«
    Im Heulen des Sturms erahnte er die Antwort: »Cædmon of Helmsby!« Der Müller öffnete erschrocken die Tür. »Thane! Tretet ein.«
    »Danke, Hengest. Kannst du mir sagen, wo ich mein Pferd lassen kann?«
    »Bringt es mit herein.«
    Erleichtert führte Cædmon Widsith durch die Tür. Die Mühle war größer als die meisten anderen Häuser,

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