Das zweite Königreich
der ihrem Orden gebotenen Gastfreundschaft aufgenommen. Und als Dänen und Rebellen am zweiten Juni die märchenhaft reiche Abtei von Peterborough überfallen, niedergebrannt und bis auf das letzte golddurchwirkte Altartuch ausgeraubt hatten, selbst da hatte Thurstan sie anschließend wieder herzlich willkommen geheißen. Denn der Abt von Peterborough war ein Normanne, der seine Mönche mit eiserner Hand regierte und sie mit einer normannischen Leibgarde in Angst und Schrecken versetzte, und Abt Thurstan war offenbar der Ansicht, es wäre dem Seelenheil des normannischen Bruders zuträglich, wenn sein Haus vom weltlichen Tand befreit werde und er selbst so zu mönchischer Demut zurückfinden könne.
So waren Dänen und Rebellen gleichermaßen schwer beladen mit Gold und Silber aus Peterborough nach Ely zurückgekehrt, doch langsam, so hatte ein Aalfischer Cædmon erzählt, gab es Reibereien und Engpässe. Selbst die fruchtbare Erde der Klosterinsel und die Bauern ihrer vier Dörfer konnten so viele Menschen auf Dauer nicht ernähren. Die Vorräte wurden knapp. Die Dänen waren seit über einem Jahr auf englischem Boden und hatten praktisch nichts erreicht. Und so kriegswütigsie auch sein mochten, liebten sie den Krieg doch nur dann, wenn er Beute brachte. Peterborough war ihr erster einträglicher Raubzug gewesen, doch jetzt war der König von England mit seinen Truppen in East Anglia. Und den Dänen war letztlich genau das geschehen, was sie in Axholme mit so weiser Voraussicht vermieden hatten: Sie saßen in Ely wie die Ratten in der Falle.
Alfred trat unauffällig heran und brachte dem König einen vergoldeten Becher mit Wein – Cædmons bestes Stück und sein bester Tropfen. Cædmon nickte seinem Vetter dankbar zu, und Alfred schmuggelte ein breites Grinsen und eine komische, halb ehrfürchtige, halb unverschämte Grimasse in seine Richtung, ehe er auch die anderen Gäste bewirtete.
Die Halle war fast menschenleer. Die Leute vom Gut, die Housecarls und ihre Familien, selbst Onkel Athelstan hatten das Feld räumen müssen. Nur eine Handvoll normannischer Adliger und Ritter warteten mit dem König: Etiennes Vater Guillaume fitz Osbern, des Königs Bruder Robert und Guillaume de Warenne, einer der großen Helden von Hastings, der zu den engsten Beratern des Königs zählte. Er ging rastlos hinter der hohen Tafel auf und ab, wobei er in regelmäßigen Abständen die Nase hochzog. Er litt offenbar an einem Sommerschnupfen. Schließlich hielt er vor dem König an und sagte mit mühsam unterdrückter Heftigkeit: »Ich kann nicht begreifen, wieso wir hier sitzen und auf dieses verfluchte Heidenpack warten, um zu verhandeln. Warum räuchern wir das verdammte Rebellennest nicht aus?«
»Beruhigt Euch, Warenne. Und mäßigt Euch«, riet der König mit einem leicht mißfälligen Unterton. »Uns allen hier ist bewußt, daß Ihr besonderen Grund habt, diesen Hereward zu verabscheuen, aber im Augenblick geht es nicht um englische Rebellen, sondern um den König von Dänemark. Außerdem hat Cædmon durchaus recht, wenn er sagt, Ely sei so gut wie uneinnehmbar.«
Warenne warf Cædmon einen mörderischen Blick zu. »Wenn mein Bruder einer dieser aufständischen Mönche wäre, würde ich gewiß das gleiche sagen. Aber mein Bruder ist tot. Abgeschlachtet, auf schändlichste Weise überfallen und ermordet von Hereward und seiner Bande verlauster Bauernlümmel …«
Williams Geduld erschöpfte sich. »Ja, ich habe mich auch schon häufiger gefragt, wie Euer Bruder ausgerechnet einem solch erbärmlichen Häuflein zum Opfer fallen konnte …«
Warenne wurde kreidebleich und schwieg. Der König lächelte zufrieden. Und Cædmon dachte nicht zum erstenmal: Der Tag wird kommen, da du den letzten deiner Freunde von deiner Seite treibst …
Hufschlag erklang im Innenhof. Kurz darauf öffnete sich die Tür zur Halle, Lucien trat ein und verneigte sich tief vor dem König. »Prinz Knut von Dänemark und sein Mund, Sire.«
William nickte knapp. »Er sei mir willkommen.«
Lucien wandte sich ab, ging zurück zur Tür und hielt sie einladend auf. Mit leichten, federnden Schritten kam der junge dänische Prinz herein. Ohne Scheu und ohne alle feierliche Gemessenheit durchschritt er den langen Raum. Vor William machte er halt und neigte höflich den Kopf. Es war keine Verbeugung. Er sagte etwas in seiner Sprache, die Cædmon nach wie vor unmelodisch und krächzend erschien, und Knuts »Mund«, der junge Mann, der dem Prinzen in
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