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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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kleine Stücke. Harold ließ jeden der überlebenden Schiffbrüchigen vortreten und gab ihm eines. Sie aßen so langsam wie möglich, kauten lange auf jedem kleinen Bissen. Dann ließ Harold den Cidre ein zweites Mal herumwandern. Cædmon bekam den letzten Schluck ab. Der Mann, der nach ihm an der Reihe gewesen wäre, knurrte wütend, hob die Faust und verpaßte ihm einen wahren Hammerschlag über dem Ohr, so daß Cædmon zu Boden geschleudert wurde.
    Er hob schützend die Arme um den Kopf und sagte: »Es tut mir leid. Ich hab nicht gemerkt, daß es der Rest war, ehrlich …«
    Der Mann machte Anstalten, nach ihm zu treten, aber Harold donnerte: »Schluß damit, Eldred! Reiß dich zusammen. Ich verlange, daß ein jeder von euch sich zusammennimmt. Es wird nicht gerauft, und es wird nicht gestritten. Ist das klar?«
    Eldred ließ augenblicklich von Cædmon ab und verneigte sich. »Ja, Mylord.«
    Harold verspeiste seinen letzten Bissen Brot mit gerunzelter Stirn, anscheinend tief in Gedanken versunken. Dann löste er sich von der Wand und trat auf die Männer zu. Die Fußkette klirrte leise. Sie umringten ihn, und er begann leise zu reden. »Das Ponthieu ist eine kleine Grafschaft am östlichen Rand der Normandie. Comte Guy ist Williams Vasall, aber nicht sein Freund. Es ist noch nicht lange her, daß Guy mit Williams Widersachern offen paktiert und Krieg gegen ihn geführt hat. Den Krieg haben sie verloren – so wie Williams Feinde es immer zu tun pflegen –, und vermutlich ist Guy jetzt erst recht auf Rache aus. Er wirdWilliam ein Angebot machen, uns freizukaufen, um ihn in Verlegenheit zu bringen. Die Frage ist nur, wann. Und ich würde uns allen die Peinlichkeit lieber ersparen. Der erste von uns, der Gelegenheit findet, muß fliehen.« Er hockte sich auf den Boden. Die anderen folgten seinem Beispiel. Harold fegte das Stroh beiseite, bis der feuchte Lehmboden zum Vorschein kam, in den er mit dem Fingernagel ein paar Linien zog. »Das hier«, er wies auf die obere, beinah waagerechte Linie, »ist die Küste. Der Ort, wo wir uns im Augenblick befinden, heißt Beaurain. Das liegt ungefähr hier. Und hier ist Rouen.« Er wies auf einen Punkt, der tiefer landeinwärts und weiter nach links lag, und schüttelte seufzend den Kopf. »Ich kann nicht glauben, wie weit nach Osten wir abgetrieben sind. Ich breche in die Normandie auf und lande im Ponthieu. Wenn meine seefahrenden Ahnen das wüßten …«
    Die Männer lachten leise.
    Harold lächelte flüchtig und tippte auf den Punkt, der Rouen darstellte. »Es ist nicht viel mehr als ein guter Tagesritt.« Er hob den Kopf und sah einen nach dem anderen an.
    »Wer soll gehen, Mylord?« fragte Agilbert.
    Harold schüttelte den Kopf. »Wir müssen sehen, wie es hier weitergeht. Wer immer von euch eine Möglichkeit zur Flucht findet, muß sie ergreifen und so schnell wie möglich zu William gehen und ihm berichten, was uns passiert ist.«
    »Ja, aber wie?« fragte Eldred. »Wie sollen wir uns verständlich machen?«
    Harold winkte ab. »Es gibt durchaus Leute an Williams Hof, die unsere Sprache sprechen. Mein Bruder Wulfnoth, zum Beispiel.«
    »Euer Bruder?« fragte Cædmon verwundert.
    Harold nickte und fuhr sich müde über die Stirn. »Ja. Er ist … Gast an Williams Hof. Schon seit zwölf Jahren.«
    »Oh.« Cædmon ließ sich zurücksinken, bis er mit den Schultern an der Wand lehnte. Er hatte den Kopf gesenkt, aber er beobachtete Harold aus dem Augenwinkel und kam zum erstenmal auf die Idee, sich zu fragen, was der mächtige Earl of Wessex wohl empfinden mochte in dieser Situation, ob er sich vor seinem König oder Herzog William genierte, in diese mißliche Lage geraten zu sein, ob er wütend war oder sich fürchtete. Was für ein Mensch er eigentlich war. Wie er dazu gekommen war, so mächtig zu werden. All diese Dinge. Cædmon betrachtete zum erstenmal den Mann, nicht den Earl.
    Er zog sich aus dem Kreis und dem Schein der Fackel zurück und rückte die Wand entlang, bis er für sich war.
    Bruder Oswald schloß sich ihm bald an. »Fürchte dich nicht, Cædmon. Die See hat uns nicht verschlungen, Guy de Ponthieu wird es auch nicht wagen.«
    »Ich fürchte mich doch gar nicht«, protestierte er.
    Oswald grinste breit. »Gut. Wie fandest du das Essen? Eher französisch als normannisch, würde ich sagen.«
    »Was?«
    »Schmackhaft, aber nicht besonders reichlich.«
    Cædmon mußte lachen, obwohl er immer noch hungrig war wie ein Wolf. »Wie lange werden wir hier

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