Dave Duncan
nichts dafür, was mit Euch geschehen ist!« brüllte Inos noch lauter. »Aber Ihr könntet mir jetzt helfen!«
Azak, von niemandem beachtet, lag immer noch schluchzend und sich windend auf dem Boden.
»Euch helfen?« Die Zauberin funkelte sie wütend an. »Eurem Liebhaber, dem Stalljungen, helfen, meint Ihr?«
Inos senkte die Augen. Es war hoffnungslos! O Rap!
»Andererseits…«, fuhr Rasha jetzt sanfter fort. »Welcher war Sagorn?« »Der alte Mann.«
»Einer aus der verfluchten Gruppe? Aber sie müssen ihre Erinnerungen teilen, damit alle Bescheid wissen?«
Inos nickte und sah mit aufflackernder Hoffnung wieder hoch.
»Interessant!« Rasha hatte sich wieder in die königliche Matrone verwandelt. Sehr ermutigend. »Eine verfluchte Gruppe mit einem Wort der Macht! Das könnte amüsant werden. Und zwei Worte wären eine Rettungsaktion wert. Kommt also her, Schätzchen, und laßt uns nachdenken.«
Sie stieg wieder die Treppen hinauf. Inos, in deren Brust die Hoffnung aufflackerte, huschte an Kade vorbei und ignorierte deren Versuche, sie zu warnen, und folgte der Zauberin. Als sie die Biegung der Treppe hinter sich gelassen hatte, sah sie den Basaltpanther, der sie aus gelben, leuchtenden Onyxaugen anschaute. Sie schienen ihre Bewegungen zu verfolgen, doch das Tier blieb eine Statue, und sie ignorierte es und blieb an Rashas Seite.
Bevor sie noch das Ende der Treppe erreicht hatten, blieb die Zauberin stehen und bedeutete Inos mit ausgestreckter Hand, es ihr nachzutun. Dann ging sie vorsichtig, Schritt für Schritt, weiter. Als ihr Kopf auf gleicher Höhe mit dem Fußboden war, blieb sie lange stehen und schien wie zuvor zu lauschen.
»Was…« fragte Inos.
»Sch! Alles klar…« Anscheinend beruhigt ging Rasha weiter. Hinter dem Panther wandte sie sich gen Norden zum magischen Fenster, aber sie hielt statt dessen auf den Südosten zu, schlängelte sich zwischen Diwanen voller Juwelen und Tischen und grotesken Schnitzereien hindurch, bis sie an einen riesigen Spiegel kam, der an der Wand hing. Er war oval und in einen feinen Silberrahmen eingefaßt, der Blätter, Hände und verschiedene andere Formen zeigte, allesamt ein wenig unheimlich. Selbst ihr Spiegelbild wirkte eigentümlich verzerrt.
Inos starrte voller Grauen auf die beiden Abbilder, die sie dort im Schatten undeutlich erkannte. Sie war ein Abbild des Schreckens – Gesicht aschfahl, starrer Blick, das honigfarbene Haar zerzaust; sie mußte auf alle Welt wie Treibgut wirken, das an einem Felsen angespült worden war. Rasha hingegen wirkte so gut und königlich wie das ideale Bild der Mutterschaft. Sie beobachtete Inos’ Reaktion mit kühler Verachtung.
Dann runzelte sie die Stirn, als wolle sie sich konzentrieren. Die Reflexionen verschwanden, und das Glas wurde dunkler. Umrisse bewegten sich. Inos schnappte bei diesem neuen Zauber nach Luft, als sie sah, wie die Nebel sich zu imperialen Legionären formte. Bald erkannte sie die spärlich beleuchtete Kammer in Inissos Turm und sah den Schnee, der hinter den Fensterscheiben herumwirbelte und sich auf der Bleifassung absetzte. Sie konnte die zerstörte Tür erkennen und die Soldaten, die sich in dem gräulichen Licht drängelten. Nichts war zu hören, nur das Bild im Glas war zu sehen.
»Seht Ihr?« murmelte die Zauberin. »Keine Spur von Eurem Liebhaber.« »Er war nicht mein Liebhaber! Nur ein loyaler Untertan!«
»Hah! Hätte er die Gelegenheit dazu gehabt, hätte er sich über Euch hergemacht. Das tun sie alle. Aber ich sehe auch den Kobold nicht; keinen aus der verfluchten Gruppe.«
Inos zwinkerte gegen die Tränen in ihren Augen an.
»Und seht hier!« Das Bild bewegte sich zur Seite und blieb stehen. Einige der Legionäre lehnten sich aus dem Südfenster und sahen hinaus. »Entweder hatten sie soviel Verstand und sind gesprungen, oder man hat sie einfach hinausgeworfen. Geworfen, würde ich annehmen.«
Die Szene verschwamm vor Inos Augen, als die Tränen die Oberhand gewannen.
Rap und Tante Kade – nur zwei Untertanen ihres Vaters waren Inos gegenüber loyal gewesen. Und jetzt war nur noch Kade übrig.
3
Im Osten stieg ein schwaches Leuchten vom Meer auf und wusch die Sterne vom Himmel. Es brach sich auf einem Strand, der wie gehämmertes Silber glänzte. Monoton leckten die Wellen am Ufer. Im Westen, hinter Rap, erwachte der Dschungel mit glockenhellem Vogelzwitschern. Nie zuvor hatte er solche Melodien gehört.
Er hatte niemals eine solche Luft geatmet – warm
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