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Davina

Titel: Davina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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fünf.«
    »Und du?« fragte er.
    »Ich mache einen kleinen Spaziergang«, antwortete sie.
    »Das brauchst du nicht«, murmelte er. »Ich werde brav sein – ich verspreche es.«
    Einem Impuls des Mitleids folgend, beugte sie sich nieder und küßte ihn flüchtig auf die Wange. »Das weiß ich«, sagte sie. »Ich kann jetzt sowieso nicht schlafen, und die frische Luft wird mir gut tun. Wir treffen uns beim Frühstück.« Sie nahm ihre Kleider, zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Ich werde mich im Badezimmer anziehen. Du drehst jetzt das Licht aus und legst dich hin.« Sie ging aus dem Zimmer.
    Harrington ging nicht wieder ins Bett. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und das Atmen fiel ihm schwer. Er drehte die Nachttischlampe aus und stellte sich auf den Balkon. Er konnte unten die Straße sehen. Ihre Gestalt tauchte auf und wandte sich nach rechts zum Strand. Sie schaute nicht zum Hotel herauf. Er blieb ruhig stehen, bis sie hinter der Straßenbiegung verschwand. Dann trat er zurück ins Zimmer, stolperte über die kleine Schwelle und fluchte vor sich hin. Er war noch immer unsicher auf den Beinen. Er schaltete die Lampe ein und ging zum Tisch. Sein Feuerzeug und die Zigaretten lagen dort, außerdem ein zerknitterter Zehn-Rubel-Schein und etwas Kleingeld. Und sein Notizbuch lag daneben. Der Stummel im Aschenbecher war noch warm gewesen; das hieß, daß sie eine Zigarette genommen hatte und sein Feuerzeug benutzt hatte … Was hatte sie sonst noch in die Hand genommen, während er schlief? Es war die deutsche Brieftasche, die ihm vom Dienst gegeben worden war. Sie hatte kein Geheimfach wie seine eigene. Er trug sie während des Tages, fest eingeknöpft, in seiner Gesäßtasche und versteckte sie nachts in der Schublade unter seiner Wäsche. Letzte Nacht aber nicht. Letzte Nacht hatte er sich betrunken und diese Routine außer acht gelassen. Er war ins Bett gefallen und sofort eingeschlafen, während die Brieftasche offen auf dem Tisch liegen blieb. Wenn sie neugierig oder mißtrauisch geworden war … Er versuchte, seine zitternden Hände unter Kontrolle zu bringen, während er die Brieftasche öffnete, um das Innenfach zu untersuchen.
    Es war noch da. Seine Erleichterung ging in Panikstimmung über, und weil die Angst ihn übermannte, wurde er plötzlich wütend auf Davina. Sie konnte es gesehen haben. Sie hatte vielleicht entdeckt, wer er in Wirklichkeit war. Jener Kuß wäre dann ein Judaskuss gewesen, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Er nannte sie laut ein gemeines Frauenzimmer, während seine Nerven unter dem Einfluß des Alkohols ins Beben gerieten und jede vernünftige Überlegung unmöglich machten. Er hatte sie gebeten, mit ihm zu schlafen, weil er einsam und nicht ganz nüchtern war, weil er sich durch Sex etwas Wärme und Behaglichkeit verschaffen wollte. Sie wollte ihn nicht. Entweder weil sie keine Lust dazu verspürte oder weil sie ihm nachspioniert, weil sie geschnüffelt hatte … Er hielt das Notizbuch in seinen schwitzenden Händen. Mit einem Teil seines Wesens hatte er sie gern. Sie zog ihn irgendwie an, und er hatte ihr in einem Augenblick sentimentaler Anwandlung ein sündhaft teures Geschenk gemacht, als er vergessen wollte, was er ihr letzten Endes antun würde.
    Und dann kam ihm der Einfall, und er war entzückt über die Raffinesse seines Vorhabens. Es schien ihm eine brillante Eingebung zu sein. Und Ironie des Schicksals. Es geschah ihr ganz recht, da sie ihn abgewiesen hatte. Sie hatte es verdient, weil sie doch auf der anderen Seite stand. In dem kleinen Reisenecessaire in ihrer Schublade fand er eine Nagelschere und eine bereits eingefädelte Nähnadel. Die eingefädelte Nadel war ein glücklicher Zufall. Selbst hätte er den Faden nie durch das Nadelöhr gebracht. Er machte sich fünf Minuten mit der Schere und noch einmal fünf mit der Nadel zu schaffen. Dann verstaute er alles wieder in der Schublade. Er ging über den Korridor ins Badezimmer und wusch sich Kopf und Gesicht in kaltem Wasser, um wieder nüchtern zu werden. Es war kurz vor halb sechs, als er in Hemd und Hose und auf Strümpfen in die Hotelhalle herunterkam. Der Empfang, wo das Telefon stand, lag noch im Halbdunkel, obwohl es draußen schon dämmerte. Harrington drehte die Lampe an und nahm den Hörer auf. Der Klingelton wurde automatisch in das weiter unten gelegene Zimmer der Empfangsdame weitergeleitet. Sie wachte sofort auf und weckte ihren Mann. Sie erschienen beide in der Halle und näherten sich drohend

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