Dead: Band 1 - Roman (German Edition)
die Tür.
Die Soldaten in der Basis fallen nun um und schlagen auf den Schotter.
» Noch nicht « , sagt er. Siebenunddreißig, achtunddreißig, neununddreißig …
Die Männer brüllen.
Und wieder wird geklopft.
Sarge gibt auf. Er war nah dran, fast hätte er es vergessen.
» Herein « , sagt er.
Die Tür geht auf. Wendy tritt ein. Sie schaut ihm zu, während er sich mit einem Handtuch den Schweiß abwischt. Sie scheint besonders an der Bärenpratzen-Tätowierung auf seiner linken Brusthälfte interessiert zu sein. Sein Blick weicht ihr aus, er kommt sich plötzlich nackt vor.
» Ist Anne wieder da? « , fragt er.
Wendy nickt lächelnd.
» Gut « , sagt er.
Sie greift in ihren Mund, zieht einen durchgekauten Klumpen Bazooka-Kaugummi heraus und klebt ihn an den Türrahmen.
» Gut « , sagt sie und schaut ihn an.
» Ja « , sagt er und kommt sich komisch vor.
» Ja « , sagt sie.
Die Polizistin macht einen Schritt auf ihn zu, nimmt seinen Kopf in beide Hände und küsst ihn zärtlich auf den Mund.
Sarge vergisst alles.
Ethan sitzt im Neonlicht auf dem Bett, mustert sein Telefon, das reglos auf dem Boden liegt, und trinkt Rotwein aus einem Pappbecher. Das Telefon ist mit einer Steckdose verbunden. Der Strom aus dem Notgenerator wird in einer Viertelstunde abgeschaltet, doch er möchte sicher sein, dass sein Telefon geladen ist. Allmählich ist zu ihm durchgedrungen, dass sie in Sicherheit sind und eine Weile hierbleiben werden. Seit er nur mit dem Rucksack aus dem Haus geflohen ist, hat sich jeder seiner wachen Gedanken darauf konzentriert, sich nach Möglichkeit von Infizierten fernzuhalten und sie zu töten, wenn es nicht möglich ist. Danach kommt: Wasser, Nahrung, Obdach. Nun, da all seine Grundbedürfnisse befriedigt sind, beschäftigt sich sein Geist allmählich mit anderen Bedürfnissen. Neue Klamotten, Toilettenartikel. Ein paar DVD s, um die Zeit totzuschlagen. Sportgeräte. Ein paar Bilder an der Wand. Und, vielleicht das Wichtigste: ein Vorhaben, das seinem Leben einen Sinn gibt, das es ihm erlaubt wieder zu leben, statt einfach nur zu überleben. Vielleicht die Rettung anderer Überlebender. Der Bau eines Treibhauses. Alles, was dazu beiträgt, jene Emotionen draußen zu halten, die fortwährend in sein Bewusstsein einzudringen drohen. Seit zehn Tagen hat er fast nur Furcht und Panik empfunden. Nun spürt er zunehmend Schuldgefühle, Niedergeschlagenheit und Langeweile. Ein niederschmetterndes Gefühl von Einsamkeit und Heimweh. Ihm fehlt seine Frau. Ihm fehlt sein Töchterchen. Ihm fehlt sein altes Leben.
Wir waren glücklich, Carol, denkt er, das Hirn schon weich vom Alkohol. Wir waren dumm.
Er trinkt noch einen Schluck Wein. Es ist ein unglaublich teurer Wein, aber Ethan hat nun schon so viel intus, dass seine Geschmacksnerven den Unterschied zwischen einem guten Bordeaux und einem Penner-Lambrusco nicht mehr erkennen würden.
Er zieht seinen Rucksack heran und breitet sorgfältig eine Reihe von Gegenständen auf dem Bett aus. Eine Bürste, an der noch Haare seiner Frau hängen, die aber nicht mehr nach ihr riecht. Ein gelbes Gummiflugzeug; das Geschenk einer Fluggesellschaft, mit der er mit der Familie nach Florida in den Urlaub geflogen ist. Ein Plastikschweinchen: Mary hat es beim Spielen im Park gefunden und wollte es nicht mehr hergeben. Ein schmuddeliger kleiner Teddybär, der brummt, wenn man ihn drückt. Mary hat immer so getan, als würde er mit ihr reden, wobei sie sein Falsettstimmchen selbst erzeugte. Eine Haarspange. Eine Karte, die seine Frau ihm gegeben hat, um auszudrücken, wie froh sie war, dass die Brüllerei ihn ihr nicht genommen hat. Ethan kennt die Worte auswendig, die sie mit ihrer schönen Handschrift geschrieben hat. Ein geschnitzter Holzgeist mit dem Gesicht eines bärtigen alten Mannes. Ein kleiner blauer Buddha an einer Schlüsselkette: Carol, regelmäßig auf spiritueller Suche, konnte sich keiner Religion anschließen. Ein Foto aus der Zeit vor Marys Geburt. Und noch eins; sie beide, lächelnd während der Hochzeit. Er hat es schnell aus dem Rahmen gerissen, bevor er aus dem Haus floh. Mehrere Brieftaschenfotos Marys, auf denen sie knapp ein Jahr alt ist. Die Ränder sind vom ständigen Anfassen geknickt.
Er hat noch Dutzende anderer Fotos, aber sie befinden sich alle zu Hause auf der Festplatte seines Computers. Er möchte so gern annehmen, dass er eines Tages dorthin zurückkehrt, um sie zu holen. Dass die Infizierten irgendwann alle tot umfallen oder
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