Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
hemmungslos. Sein Gesicht war aschfahl, er war wie unter einer unerträglichen Last in sich zusammengesunken. Was hätte sie sagen können, um seinen Schmerz zu lindern, sein Gewissen zu erleichtern?
»Er hat recht«, pflichtete Aaron Travis bei, den Blick ebenfalls auf die zwei Brüder gerichtet. Robert auf den Knien, Shea, der neben ihm hockte und leise auf ihn einredete.
»Aber ich möchte … helfen.«
»Gut«, sagte Aaron. »Du kannst Oliver anrufen. Er soll zu Mom gehen, es sei denn, du willst es tun.«
Shannon fühlte sich entsetzlich schwach. »Sie muss es erfahren«, bestätigte sie tonlos. »Aber ich habe kein Handy. Meins ist verschwunden.«
Travis bot ihr sein Gerät an. »Hier, nehmen Sie meins.«
Shannon zögerte nicht. »Danke.« Sie wandte sich Aaron zu. »Ich rufe Oliver an, dann fahren wir gemeinsam hin«, sagte sie und hob den Blick zu Travis. »Ich kann jetzt noch nicht nach Hause.«
»Verstehe.« Er hielt noch immer ihren Arm. »Ich fahre Sie.«
»Ich bin mit meinem eigenen Wagen hier.«
Aaron wandte ein: »Wirklich, Shannon, du solltest jetzt nicht fahren. Aber ich muss hier bleiben, vielleicht kann ich helfen.« Aaron sah Travis einen Moment lang forschend an, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Brüder.
Widerwillig sah Shannon ein, dass sie im Augenblick tatsächlich wenig für Robert tun konnte. So gut ihr Verhältnis zu ihm auch war, die Brüder untereinander verband etwas, woran sie nie wirklich teilgehabt hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie die einzige Tochter der Familie war und noch dazu die Jüngste. Das grenzte sie in zweierlei Hinsicht von ihren Brüdern ab.
Sie wählte Olivers Nummer. Als sie Travis’ Handy ans Ohr hielt, roch sie einen Hauch von seinem Aftershave. Das Rufzeichen ertönte sechsmal, dann sprang die Mailbox an.
»Er meldet sich nicht.«
Aaron runzelte die Stirn. »Ich dachte, Priester sind rund um die Uhr im Dienst.«
»Noch ist er kein Priester«, entgegnete Shannon und fügte hinzu: »Ich fahre zu Mom.«
Aaron musterte sie sehr ernst. »Bist du auch sicher, Shan?«
»Ganz sicher.« An Travis gewandt, erklärte sie: »Ich denke, das sollte ich lieber allein erledigen. Trotzdem danke.«
Er ließ ihren Arm los, und sie drängte sich zwischen den Feuerwehrleuten hindurch zur Tür. Draußen war die Zahl der Gaffer inzwischen weiter angewachsen. Darunter befand sich auch ein Mann im Pyjama, der einen Hund an der Leine führte. Shannon bahnte sich einen Weg durch die Menge, wich Pfützen, schlammigen Stellen und den Fahrzeugen aus, die kreuz und quer geparkt standen, und suchte nach ihrem Wagen. Eine Konfrontation mit ihrer Mutter war das Letzte, was sie sich jetzt wünschte, aber jemand musste Maureen Flannery zur Seite stehen, wenn sie erfuhr, dass ihre Schwiegertochter bei einem Brand ums Leben gekommen war.
Shannon fand, sie könne damit nicht bis zum nächsten Morgen warten – womöglich stand ihre Mutter früh auf und hörte die Nachrichten, oder eine Bekannte rief an, um ihr Beileid auszusprechen.
Shannon wappnete sich innerlich.
Ihre Mutter hatte schon zahlreiche Unglücks- und Todesfälle erlebt und kannte auch die allgegenwärtige Gefahr eines Brandes, aber sie würde dennoch am Boden zerstört sein, wenn sie erfuhr, dass die Mutter ihrer Enkelkinder tot war.
Womöglich ermordet?
Hat dich selbst nicht erst kürzlich jemand überfallen und fast umgebracht, und das ebenfalls, während es brannte … Shannon überlief es eiskalt bei der Vorstellung, dass irgendwo da draußen in der Dunkelheit ein Mörder lauerte, ein krankhafter Verbrecher, und dass es womöglich derselbe war, der Dani Settler in seiner Gewalt hatte.
Sofern das Mädchen überhaupt noch lebte.
Shannons Knie begannen zu zittern. Sie weigerte sich, etwas anderes zu denken, als dass das Mädchen am Leben war. Dani war entführt worden, aber sicher nicht ermordet.
Sie durfte sich jetzt nicht in ihre Angst hineinsteigern, sondern musste stark sein und sich um ihre Mutter kümmern. »Eins nach dem anderen«, ermahnte sie sich.
Und was ist mit Mary Beths Familie? Mit ihren Kindern? Wer sagt es ihnen?
Shannons Herz wurde noch schwerer bei dem Gedanken, dass ihre Nichte und ihr Neffe jetzt ohne Mutter aufwachsen mussten. Vielleicht heiratete Robert ein zweites Mal, aber eine Stiefmutter konnte die leibliche nie ersetzen.
Shannon warf einen Blick zurück und sah Travis Settler, der neben Aaron stand und ihr nachblickte. Es erschien ihr nicht sonderbar
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