Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
zuckte mit den Schultern. »Ich glaube kaum.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist verdammt rätselhaft.«
Darin musste Shannon ihm recht geben. Sie fragte sich, ob Neville sich aus dem Staub gemacht hatte wie Brendan oder einen Unfall gehabt hatte oder womöglich ermordet worden war. Es war so merkwürdig. Neville war einfach… verschwunden. Die Presse und der Bezirksstaatsanwalt waren überzeugt gewesen, Neville habe Shannon geholfen, ihren Mann zu ermorden. Sie hätten gemeinsam Ryan betäubt, ihn in den Wald gezerrt und das Feuer gelegt, um die Leiche zu verbrennen und alle Beweise für den Mord zu vernichten.
Neville war daraufhin angeblich untergetaucht, um nicht gegen seine Schwester aussagen zu müssen oder selbst in Verdacht zu geraten.
Doch das war reine Spekulation.
Und, wie Shannon wusste, natürlich haltloser Unfug.
Was es mit Nevilles Verschwinden tatsächlich auf sich hatte, wusste sie allerdings selbst nicht. Jedenfalls hatte es Oliver so zu schaffen gemacht, dass er schließlich den Verstand verlor und anfing, mit Gott zu sprechen.
»Ich denke, ich gehe jetzt lieber«, sagte sie zu ihrer Mutter. Dabei wunderte sie sich insgeheim, wie fremd ihr Bruder ihr geworden war.
»Wartet der Mann da draußen auf dich?«, fragte Oliver.
»Welcher Mann?«, versetzte Maureen sofort, an Shannon gewandt. Diese bedachte Oliver mit einem Blick, der ihn hätte töten können.
»Er hat mich hergefahren. Anders kam ich nicht von der Brandstelle weg, mein Wagen war zugeparkt.«
»Warum hast du ihn denn nicht ins Haus gebeten? Und wer ist er überhaupt?«, wollte Maureen wissen.
»Er heißt Travis Settler. Das Ganze ist ein wenig kompliziert, und es ist wirklich schon sehr spät.«
»Gehst du mit ihm?«
Shannon hätte um ein Haar gelacht. Ob sie mit Travis Settler ging? Lieber Himmel, wie viel einfacher als die Wahrheit das wäre! »Nein, Mom, er ist nur ein Fr…, ein Bekannter, der sich angeboten hat, mich hierher zu fahren.«
»Ein barmherziger Samariter«, warf Oliver ein. Die Formulierung bereitete Shannon ein gewisses Unbehagen – hatte sie Travis nicht im Stillen selbst so bezeichnet, nachdem sie überfallen worden war? Dabei war er in Wirklichkeit alles andere als ein barmherziger Samariter. Er war nur zu einem Zweck nach Santa Lucia gekommen. Er hatte ihr heimlich nachspioniert. Um Himmels willen, er hatte sie verdächtigt, sein Kind entführt zu haben. Und er hatte sie nur deswegen gerettet, weil er sich zum Zeitpunkt des Überfalls gerade auf ihrem Grundstück aufhielt. Anfangs hatte sie sogar geglaubt, er könnte der Angreifer gewesen sein, doch seit sie ihn ein wenig näher kannte, hatte sie ihre Meinung geändert. Sie vertraute ihm beinahe.
Aber nur beinahe.
»Klar«, sagte sie jetzt, um das Thema abzuschließen. »Ein barmherziger Samariter. Das ist er wohl.«
Und dann ging sie, ehe ihre Mutter noch mehr Fragen stellen konnte, ehe sie selbst etwas sagte oder tat, was sie später bereuen würde.
Sie ließ die Insektenschutztür hinter sich zufallen. Travis stand bei seinem Wagen, an den Kotflügel gelehnt, und behielt das Haus im Auge.
»Sie hatten einen Besucher«, bemerkte er.
»Oliver, mein Bruder.«
»Derjenige, der Priester werden will. Ja, ich weiß.«
»Gibt es eigentlich irgendetwas, was Sie über meine Familie nicht wissen?«, fragte Shannon gereizt, während Travis ihr die Wagentür öffnete. Er wollte ihr beim Einsteigen behilflich sein, doch sie warf ihm einen Blick zu, der nur allzu deutlich besagte: Finger weg. Sie wollte um keinen Preis auf ihn angewiesen sein, so sehr die Schmerzen in ihrer Schulter ihr auch zu schaffen machten. Als sie schließlich auf dem Beifahrersitz saß, wartete sie darauf, dass der Schmerz nachließ. »Gibt es irgendwelche Geheimnisse, die wir Flannerys vor Ihnen bewahren konnten?«
»Mehr als genug«, gestand Travis mit einem schwachen Lächeln, das ihn ganz besonders attraktiv erscheinen ließ. Shannon wandte hastig den Blick ab, und Travis schlug die Beifahrertür zu.
Während er um den Wagen herumging, beobachtete sie ihn verstohlen: ausgreifende Schritte, gerader Rücken, schmale Hüften … Die Art von Problem, die sie weder wollte noch brauchte.
Sie rief sich innerlich zur Ordnung. Was war nur los mit ihr? Warum beschäftigte der Mann sie so sehr?
Als sie den Sicherheitsgurt anlegte, musste sie beinahe nach Luft schnappen. Die Wirkung der Schmerzmittel war schon seit Stunden verflogen, und sie fühlte sich wie zerschlagen. Der Schmerz
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