Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
Ihre Hand krampfte sich um die Kante des Küchentresens. Wie sehr hatte sie sich dieses Kind gewünscht, obwohl es von einem Mann gezeugt worden war, der ihr immer fremder wurde, die Frucht einer lieblosen Ehe, die bereits nach kurzer Zeit in die Brüche ging. Dieses Kind, ihr Sohn, Ryan Carlyles Sohn, war das einzig Gute gewesen, was aus ihrer unglücklichen, gewalttätigen Beziehung entstanden war. So wenig sie Ryan selbst nachtrauerte, so sehr schmerzte sie noch immer der Verlust ihres Kindes.
Der Kaffee war durchgelaufen. Sie schenkte sich eine Tasse ein, suchte vergeblich im Kühlschrank nach Kaffeesahne. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, machte sie sich auf die Suche nach ihrem Handy, konnte es jedoch nicht finden. Schließlich gab sie es auf und ging nach draußen, wobei Khan voranstürmte. Nates Pick-up stand wieder einmal nicht an seinem gewohnten Platz. Allmählich machte Shannon sich Gedanken um ihn. Die Sorge wich jedoch der Verblüffung, als sie nach den Pferden sah und feststellte, dass sie bereits gefüttert und getränkt worden waren. Jetzt standen sie auf der Koppel, knabberten an vertrockneten Grasbüscheln oder drängten sich aneinander und vertrieben mit dem Schweif die Fliegen.
Shannon warf einen Blick zu den Fenstern von Nates Wohnung hinüber. Wo steckte er? Während der ganzen Zeit ihrer Zusammenarbeit kannte sie ihn als Frühaufsteher, der die Tiere je nach Jahreszeit bei Tagesanbruch auf die Weide ließ. Neuerdings jedoch schien sein gewohnter Ablauf durcheinandergeraten, und er war öfter abwesend als zu Hause.
Sicher, sie beide betreuten unabhängig voneinander die Tiere, und keiner kontrollierte den anderen … Doch dieses Verhalten war merkwürdig, es sah Nate so gar nicht ähnlich.
Oder? Was wusste sie eigentlich von ihm? Im Grunde nicht viel. Was führte er im Schilde? Wieso diese Unregelmäßigkeiten?
Nun, im Augenblick war es sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Shannon beschloss, später mit ihm zu reden, wenn er wieder auftauchte. Was immer die Gründe für sein ungewöhnliches Verhalten sein mochten, eigentlich ging es sie nichts an.
Es sei denn, er hatte irgendwie mit den Bränden zu tun …
»Ausgeschlossen«, sagte sie leise und ärgerte sich selbst darüber, dass ihr überhaupt ein solcher Gedanke kam. Sie öffnete die Tür zum Hundezwinger und wurde sofort von aufgeregtem Bellen, Kläffen und sogar einem Heulen von Tattoo, dem einzigen Bluthund in der Meute, empfangen. Shannon begrüßte die Hunde einzeln und ließ sie heraus, damit sie sich austoben konnten. »Ihr alle bekommt noch einen Tag Urlaub«, erklärte sie, »außer dir.« Sie tätschelte Atlas, dem riesigen Deutschen Schäferhund, den Kopf, der so groß war wie der eines Bären. Zum Lohn stieß er mit der Nase gegen ihr Bein und verlangte nach mehr. Zu den anderen Hunden gewandt sagte Shannon: »Aber morgen gehen wir wieder an die Arbeit. Ernsthaft. Klar?«
Tattoo bellte heiser.
Cissy, ein nervöser Border-Collie mit halb weißem, halb schwarzem Gesicht, beachtete sie kaum, denn sie pirschte sich gerade hochkonzentriert an Atlas heran. Seine Größe schien sie in keiner Weise einzuschüchtern. Den Blick fest auf Atlas gerichtet, lag Cissy lauernd da, während der große Hund am Zaunpfahl das Bein hob und sie ignorierte.
»Tut mir leid, Cissy«, sagte Shannon. »Ich glaube nicht, dass Atlas dich versteht. So sind die Männer.«
Die Hündin hob den Kopf, als hätte sie tatsächlich verstanden. Die Übrigen reagierten indessen ihre überschüssige Energie ab, indem sie um Shannon herumsprangen. Außer Khan waren es nur fünf Hunde, die alle ihr gehörten. Gewöhnlich hielt sie mindestens doppelt so viele, die sie teils abrichtete, teils in Pflege hatte; doch im Lauf der letzten drei Monate hatte sie wegen des bevorstehenden Umzugs den Bestand auf ihre eigenen Hunde reduziert.
Während sie sich streckten, sich im trockenen Gras wälzten und um den Zwinger herum schnupperten, wanderte Shannons Blick wieder einmal unwillkürlich zu der Brandstätte – dunkel und gespenstisch, ein Anblick, der gar nicht zu diesem strahlenden Tag passte. Wer hatte den Schuppen angezündet, in dem sie lediglich Futtermittel, altes Zaumzeug und ein paar beinahe vergessene Gerätschaften aufbewahrt hatte? Und warum?
Sie sah Molly auf der Koppel stehen, hinter einem Schecken. Die Schweife beider Pferde zuckten, die Ohren waren ständig in Bewegung, um die lästigen Fliegen abzuwehren.
Shannon biss sich auf
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