Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
Arzneimitteln stammen.« Byrne hüstelte. »Duncan, ich verstehe ja, daß das alles ein Schock für dich ist. Aber du bist in diesem Fall nicht zuständig. Du hast offiziell keinerlei Handhabe. Ich fürchte leider, daß die Tatsache, daß du persönlich betroffen bist, dich zu ...«
»Zu Überreaktionen veranlassen könnte?« fiel Kincaid ihm ins Wort und fühlte, wie seine mühsam aufrechterhaltene Beherrschung allmählich zu bröckeln begann. »Alec, das dürfte jetzt doch wohl irrelevant sein, oder? Der Pathologe hat eindeutig nachgewiesen, daß ich nicht phantasiere - und daß Vic in bezug auf Lydia Brooke in die richtige Richtung gedacht hat. Haben deine Jungs im hinteren Gartenteil was entdeckt?«
Byrne zögerte. »Ich habe gerade ein Team losgeschickt ...«
»Großer Gott, Alec! Pennst du eigentlich?« explodierte Kincaid. »Mittlerweile sind rudelweise Hunde und Spaziergänger dort durchgetrampelt!«
»Ich brauche deine Ratschläge nicht. Ich weiß, wie ich meinen Job zu erledigen habe, Duncan. Dein rüder Ton gefällt mir nicht. Ich führe die Ermittlungen so, wie ich es für richtig halte. Damit mußt du leben«, kam es schneidend vom anderen Ende.
Kincaid erkannte sofort, daß er zu weit gegangen war. Es nützte ihm nichts, wenn er den Freund verärgerte. Dabei konnte er nur verlieren. »Entschuldige, Alec. Du hast natürlich recht. Ich habe mich vergessen«, murmelte er zerknirscht. »Wir sehen uns dann morgen in Cambridge.« Er legte auf, bevor Byrne noch etwas sagen konnte. Er merkte plötzlich, daß er schwitzte. In Gemmas bleichem, übernächtigtem und angespanntem Gesicht erkannte er die eigene Verfassung.
Sie sahen sich schweigend an. »Du hattest also recht«, seufzte sie schließlich. »Jetzt geht es los.«
»Ich fürchte, ja.« Er dachte an die Gedanken der vergangenen Nacht. Die Ereignisse hatten ihm die Entscheidung inzwischen abgenommen. »Gemma«, erklärte er. »Ich nehme Urlaub.«
»Was? Jetzt?«
»Ich rede mit Denis, sobald er von seiner Konferenz zurück ist.«
»Aber du kannst nicht einfach ohne Urlaubsantrag ... ohne die übliche Prozedur ...«
»Wieso nicht? Du weißt, wieviel Resturlaub ich habe. Dafür stelle ich einen Antrag, und bis zur Entscheidung lasse ich mich wenn nötig krank schreiben. Dann geht das alles seinen normalen Gang, Gemma.«
»Egal, welche Konsequenzen das hat?«
»Die Zeit ist zu knapp, um über Konsequenzen nachzudenken«, entgegnete er heftig. »Mir egal, was passiert.«
Sie starrte ihn an, die Lippen eigensinnig zusammengepreßt. »Was mit dir passiert, ist mir aber nicht egal«, sagte sie erstaunlich ruhig. »Ich weiß, was du vorhast, Duncan, und das macht mir angst. Du hast nicht die Absicht, den Fall der Kripo von Cambridgeshire zu überlassen, stimmt’s? Du weißt, daß du offiziell nie den Ermittlungsauftrag bekämst. Aber du glaubst, es besser machen zu können. Und um das zu beweisen, setzt du sogar deine Karriere aufs Spiel.«
»Gemma ...«, begann er ruhiger, aber nicht minder bestimmt. »Du irrst dich. Es ist das einzige, was ich tun kann, um mir selbst zu helfen. Ich habe keine Wahl. Und ich kann es besser, weil ich mehr weiß und nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehe.«
»Aber du bist nicht zuständig.« Gemma beugte sich zu ihm hin, versuchte ihn zur Vernunft zu bringen. »Es ist nicht deine Schuld, daß Vic gestorben ist. Du hättest nicht mehr tun können, selbst wenn du gewußt hättest, was passiert.«
Er verzog den Mund zu einem Lächeln. »Du könntest recht haben. Aber mit letzter Gewißheit werde ich es nie wissen, oder?«
Gemma verließ den Yard gegen halb sechs. Sie hatte auf eine zweite Chance, auf ein neues Gespräch mit Kincaid gehofft, um ihn wenigstens dazu zu überreden, nichts zu überstürzen. Seine Besprechung hatte jedoch noch angedauert, als sie das letzte Mal einen Blick in sein Büro geworfen hatte. »Ich habe noch eine Weile zu tun«, hatte er kurz angebunden gesagt. »Leider, Gemma. Wir sehen uns morgen.«
Obwohl er nicht mehr hatte erklären oder gar die Konferenz verlassen können, ohne sie zu kompromittieren, hatte sie sich ausgeschlossen, zurückgestoßen gefühlt. Es war die Ironie des Schicksals, dachte sie, als sie langsam von der U-Bahnstation nach Hause ging, daß ihre Befürchtung, Vic könne sich zwischen Kincaid und sie drängen, erst nach Vics Tod wahr werden sollte. Und was konnte sie schon gegen seine
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