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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Rest des vorausgegangenen Nachmittags damit verbracht, durch Cambridge zu wandern und sich mit der Stadt und ihren Colleges vertraut zu machen. Bei ihrer späten Rückkehr hatte sie eine Nachricht von Kincaid auf ihrem Anrufbeantworter vorgefunden. Er hatte ihr Termin und Ort der Trauerfeier mitgeteilt und sie gebeten, ihn anzurufen. Letzteres hatte sie unterlassen.
      Was Gemma zu sagen hatte, wollte sie persönlich und nicht am Telefon besprechen. Also fuhr sie rechtzeitig nach Grantchester, um vor der Kirche auf seine Ankunft zu warten. Sie fand einen Parkplatz in der High Street unterhalb von Vics Cottage. Als sie ausstieg, atmete sie tief ein, um einen klaren Kopf zu bekommen. Die strahlende Sonne hatte das Wageninnere aufgeheizt und sie schläfrig gemacht. Mittlerweile war es so warm geworden, daß sie den Mantel im Auto lassen konnte. In der Luft lag die unverwechselbare Milde des Frühlings.
      Vom Parkplatz ihres Wagens aus konnte Gemma den Kirchturm über den Baumwipfeln aufragen sehen. Die Turmuhr stand auf Viertel vor zwölf, nicht auf zehn Minuten vor drei, wie in Rupert Brookes Gedicht. Das gab ihr Zeit, dem alten Pfarrhaus einen Besuch abzustatten, in dem Rupert Brooke gelebt und gearbeitet und dem er in seinem Gedicht >The Old Vicarage, Grantchester< ein Denkmal gesetzt hatte.
      Ein kurzer Spaziergang führte sie auf der High Street bergab und zu einem schmiedeeisernen Tor. Gemma umfaßte zwei Eisenstreben mit den Händen und spähte in den Garten. Sie fühlte sich ein wenig wie ein vorwitziges Schulmädchen, entschuldigte sich jedoch damit, daß die Bewohner des alten Pfarrhauses an die Neugier der Öffentlichkeit gewöhnt sein mußten.
      Das Haus, das schon vor Brookes Zeit nicht mehr als Pfarrei genutzt worden war, befand sich seit Jahren im Besitz eines bekannten Schriftstellers und dessen Frau, einer Wissenschaftlerin. Sie hatten das gemütliche Haus mit viel Gefühl und Rücksichtnahme auf die Legende >Rupert Brooke< renoviert. Der aufwendig angelegte Garten allerdings hatte kaum Ähnlichkeit mit dem verwilderten Grundstück, das die Fotos in Hazels Büchern gezeigt hatten. Der gute Rupert, dachte Gemma, wäre angesichts der Vergewaltigung seiner herrlichen Wildnis sicher enttäuscht gewesen.
      Gemma trat vom Tor zurück und warf noch einen Blick auf den Tennisplatz, der zum Haus gehörte. Sie ging an der Einfahrt von >The Orchard< vorbei und hinunter zum Fluß, bis sie in das Gartenlokal mit seinen Tischen und Sonnenstühlen unter den knorrigen Apfelbäumen hineinschauen konnte. Dort, unter blühenden Bäumen, in jenen fernen Apriltagen der Jahrhundertwende, hatten sie gesessen: Rupert Brooke und seine Freunde, hatten gelacht, diskutiert und die Zukunft geplant, die für so viele von ihnen niemals stattgefunden hatte.
      Jemand hatte vor das Denkmal auf dem Kirchhof ein Glas mit weißen Krokussen und gelben Osterglocken gestellt. Gemma fuhr die Worte mit dem Finger nach, die in den Obelisken aus Granit gemeißelt waren.
      Zur Ehre Gottes in Liebe und dankbarer Erinnerung ... 1914-1918 ... unseren tapferen Männern
      Sie ging zur Rückseite und las dort die eingravierten Namen der jungen Dorfbewohner, die ihr Leben im Ersten Weltkrieg gelassen hatten. Rupert Brookes Name stand unter ihnen.
      Gemma hatte die Hand auf den warmen Stein gelegt, als Kincaids Stimme sie aus ihren Gedanken riß. »Gemma! Ich dachte, du kommst gar nicht!«
      Sie drehte sich um. Kincaid eilte über den Rasen auf sie zu. Er trug einen streng anthrazitgrauen Anzug mit blütenweißem Hemd und dunkler Krawatte. Er sah müde aus.
      »Ich wollte mit dir reden«, begann sie. »Vor der Beerdigung. Deshalb habe ich nicht angerufen.«
      Angesichts dieser Logik zog er eine Augenbraue hoch, warf dann aber zustimmend einen Blick auf die Uhr. »Es ist noch früh. Gehen wir ein paar Schritte.«
      Sie schlenderten durch das überdachte Tor auf den Friedhof und an den Reihen flechtenbewachsener Grabsteine entlang. Kein Grund, um den heißen Brei herumzureden, dachte Gemma und sah zu ihm auf. »Ich schulde dir eine Erklärung für Vorgestern«, begann sie. »Ich hatte kein Recht, dir Vorschriften zu machen.«
      Er lächelte andeutungsweise. »Wann wäre das je ein Hinderungsgrund gewesen?«
      Gemma ging auf das Geplänkel nicht ein. »Besonders, weil ich weiß, wie dir zumute ist.« Sie warf einen Blick zurück zur Kirche. »Ich verstehe, warum du herausfinden mußt, wer Vic getötet hat. Ich will

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