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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Sprachkurse denkt 1963 noch niemand. Deutsch lernte der Schwiegersohn anfangs, indem er nachts das Wörterbuch auf Seite eins aufschlug und sich die Vokabeln eintrichterte, weshalb seine ersten Wörter »Aa« und »Aa machen« waren. Weil er die beiden Deutschen nicht davon abbringen kann, das Seil selbst anzubinden, stehen sie schließlich alle zusammen knietief im Wasser. Die Gnädige Frau drückt dem dritten Deutschen derweil Pistazien in beide Hände und ruft immerfort » Âghâ, merci, âghâ merci «. Meine Familie muß einen merkwürdigen Anblick abgegeben für drei Deutsche 1963 auf dem Land: ein junges Ehepaar aus dem märchenhaften Land von Kaiserin Soraya, das leidlich Deutsch spricht, ein alter, glatzköpfiger und sehr kleiner rundlicher Herr mit Stoppelbart auf einem großen, farbenfrohen Teppich voller Speisen, drei Jungen, die zu ordentlich angezogen sind für ein Picknick, eine ältere Frau mit einem bunten Bettuch über dem Kopf, die merci, merci ruft, und ein Mercedes-Benz in der wassergefüllten Mulde eines Feldwegs, der weiß Gott wohin führt. Was hat die Perser an diese Entlegenheit verschlagen, werden sich die drei jungen Deutschen fragen. Ob sie noch leben? frage ich mich. Wenn sie 1963 jung waren, sind sie 2008 höchstens siebzig. Bestimmt erinnern sie sich noch daran, wie sie das Auto dieser sonderbaren Perser mit dem Abschleppseil aus der Mulde zogen. Sie mögen sich ebenfalls melden, sollte einen von ihnen auf welchen Wegen immer diese Flaschenpost erreichen. Meine Eltern sind noch am Leben und würden sich ebenfalls freuen.
    Was an dem Auto kaputt war, weiß Großvater nicht mehr, jedenfalls machte sich einer der Deutschen auf den Weg, um das Ersatzteil zu besorgen. Die anderen beiden nahmen Großmutters Einladung an, auf dem Teppich das Mittagessen zu teilen, das für sie wie Frikadellen aussah, nur länglich und mit Kartoffeln zubereitet, wie meine Mutter sie aufklärte, dazu eingelegtes Gemüse, Brot, Käse, Tomaten, Gurken, Salatblätter und zum Nachtisch Gaz, Isfahans weiße Süßigkeit, die mit nichts zu vergleichen war, was sie bislang gegessen hatten. Da sie kein Französisch sprachen, konnte Großvater sie nur dankbar anlächeln. Großmutter sprach zwar kein Deutsch, redete aber dennoch auf sie ein, noch mehr zu essen, sonst sei sie beleidigt. Eine Stunde verging, so laut und lustig wie heute in multikulturellen Komödien, bis der dritte Deutsche mit dem Ersatzteil zurückkehrte. Sofort machten sich die jungen Männer an die Reparatur. »Meine Frau und ich, die wir mit dem Charakter, den Gewohnheiten und den Erwartungen der Deutschen nicht vertraut waren, legten den Maßstab unserer eigenen Gedanken und Erfahrungen an und schätzten so, daß sie als Lohn für ihre großartige Arbeit mindestens zwei- oder dreihundert Tuman berechnen würden, aber mein lieber Schwiegersohn und meine Tochter lachten uns nur aus und meinten, daß die Deutschen keinen Rial mehr annehmen würden als den Preis, den das Ersatzteil gekostet hatte. So sicher war mein lieber Schwiegersohn, daß er mir zum Spaß eine Wette vorschlug, die allerdings nicht zustande kam, weil ich grundsätzlich nicht wette. »Sent: 22-Nov-2008 17:59:42 Dann will ich lieber freud mal sehen wis mir die nächsten stunden geht – grad sehr müd und denken nacher o die tag da klingel ich druch, liebe grüße bis dahin in gedanken verbunden« Als der Wagen repariert war und der Motor wieder lief, legte mein Schwiegersohn das Geld für das Ersatzteil mitsamt des Betrags, der ihm als Lohn angemessen schien, auf einen Teller, den er mit einigen Bissen Gaz und einer Handvoll Pistazien auffüllte. Dann schickte er einen seiner Söhne zu den drei Deutschen, um den Teller unauffällig zu übergeben. Eine Minute später kehrte mein guter Enkel zurück. Auf dem Teller fehlten die Pistazien, das Gaz und exakt der Betrag, den das Ersatzteil gekostet hatte. Daraufhin ging mein lieber Schwiegersohn selbst zu den Deutschen und beschwor sie gestenreich, das restliche Geld anzunehmen, aber so viel Mühe er sich auch gab, sie nahmen nicht einen Rial für ihre Arbeit an. Mein lieber Schwiegersohn gewann also die Wette, die wir Gott sei gepriesen nicht geschlossen hatten.«
    Bevor die Frau mit der Frühgeborenen nach Köln fliegt, absolvierte die Familie der Nummer zehn den Ausflug nach

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