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geistesgeschichtlich gewià nicht zufällig die Zeit von Jean Paul und Hölderlin ist, die Wende zum achtzehnten Jahrhundert, in denen Selbstbezüglichkeit und Selbstreflexion zum Ausgangspunkt von Literatur und Philosophie werden, man denke nur an Kants Betrachtung des eigenen Vermögens, an Schlegels frühromantische Poetik der unendlichen Selbstreflexion, an Rousseaus Vorwurf des NarziÃmus generell an alle Dichter und Philosophen und schlieÃlich an den Idealismus, der nicht seinem Erfahrungsgehalt, wohl aber seiner Denkstruktur nach ein mystisches Projekt ist: Was immer sich reflektiert, muà aus sich herausgehen und damit sich verlieren, um sich zu finden, damit die unvermeidliche Spaltung der SelbstbewuÃtseins in Objekt und Subjekt. Und Jean Paul und Hölderlin stehen ja nicht einfach an der Wende zum achtzehnten Jahrhundert, sondern wurden beide durch Kant geprägt und durch Fichte in helle Aufregung versetzt, ohne sich mit dem Idealismus zu beruhigen, der um sie herum zum Trend wurde. Auch wenn andere Kinder als Jean Paul es kaum so bewuÃt erleben, bedeutet die Entdeckung, daà Ich ein Ich ist, eine gewaltige Erhöhung der eigenen Person, die von sich nicht mehr wie von allen anderen spricht. Schon sprachlich nimmt sich das Ich als Mittelpunkt der Welt wahr, wie das Hölderlin achtzehnjährig in den Versen zum Ausdruck brachte, die der Leser nur ideengeschichtlich für bemerkenswert hielt. »O dich zu denken, die du aus Gottes Hand / Erhaben über tausend Geschöpfe giengst, / In deiner Klarheit, dich zu denken, / Wenn du dich zu Gott erhebst, o Seele! / ⦠/ So singt ihn nach, ihr Menschengeschlechte! nach / Myriaden Seelen singet den Jubel nach â / Ich glaube meinem Gott, und schau in / Himmelsentzükungen meine GröÃe.« Tatsächlich sind sie mehr: Hölderlins früheste Verse sind auch als poetischer Ausdruck jener BewuÃtwerdung zu hören, die jedem Menschen geschieht. Ich bin ein Ich.
Für den Geschmack des neuen Verlegers, dessen Vorschuà dreiÃig Lesungen oder zehn Vorträge mehr wert ist als die Begeisterung, auf dem gleichen Stuhl wie Theodor W. Adorno zu sitzen, hat der Romanschreiber die Nebensächlichkeiten noch nicht entschieden genug gekürzt. Aber gerade die Nebensächlichkeiten sind doch das Hauptwerk, wehrt sich der Romanschreiber. Die Zeitangaben, die am Anfang so penetrant sind, möchte der neue Verleger hingegen auch später öfter lesen, damit der Roman, den ich schreibe, der Faktizität konsequent auf der Spur bleibt, wie der neue Verleger es ausdrückt. Daà er das so was von saudumm findet, denkt sich der Romanschreiber nur und verteidigt sich statt dessen im Duktus eines Glaubenssatzes, der Nachfragen so Gott will ausschlieÃt: Das einzige Faktum ist bei mir der Tod! Der fortlaufende Wechsel zwischen erster und dritter Person überzeugt den neuen Verleger noch nicht, zumal ihn die vielen verschiedenen Namen für den Romanschreiber verwirren. Dieser fängt gar nicht erst an zu erklären, warum die Verfremdung notwendig ist wie der Konjunktiv in Hagiographien und die Textblätter im Passionsspiel, selbst wenn die Darsteller den Text auswendig beherrschen; er behauptet nur, daà der Wechsel der grammatischen Personen, von diesem zu jenem Namen ihm helfe, die Absätze zu handhaben, als seien sie nicht von ihm: zu erfinden, zu verschieben, zu ersetzen, zu streichen, zu retuschieren und auszusondern. Das stimmt, leuchtet dem neuen Verleger die Loslösung von der Faktizität ein, der er vier Minuten zuvor noch konsequent auf der Spur bleiben wollte: Man wisse jetzt nicht mehr, was wahr, was falsch ist, und es werde auch egal. Ja, ganz egal, nickt der Romanschreiber eifrig. Wie ernst er die Hinweise des neuen Verlegers nimmt, scheint er auch mit den Notizen zu demonstrieren, die er am Konferenztisch direkt in seinen Laptop eingibt, während der neue Verleger wie ein Feldherr durch das kanzleramtsgroÃe Büro schreitet, jedes Buch eine Armee, jeder Verlagskatalog ein Schlachtplan, und immer von diesem Riesenknödel spricht, was für ein Riesenknödel, als ginge es wie in allen Kriegen nur ums Fressen. Daà der Romanschreiber das Gespräch auf Seite 3775 der Urschrift festhält, ahnt nicht einmal der Verleger, der mehr von Büchern verstehen soll als jeder andere in Deutschland. Unsicher sind beide über die Affäre mit der Direktrice. Während der
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