Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
schliefen. Ich hatte geglaubt, die Entscheidung über mein Schicksal noch heute zu vernehmen, sah mich aber getäuscht; denn die Versammlung ging später, wie ich hörte, auseinander, ohne daß mir etwas über ihren Beschluß gesagt worden wäre. Ich schlief ein. Ein unruhiger Traum bemächtigte sich meiner. Ich lag nicht hier in dem Zelte am Tigris, sondern in einer Oase der Sahara. Das Wachtfeuer loderte, der Lagmikreiste von Hand zu Hand, und die Märchen gingen von Mund zu Mund. Da plötzlich ließ sich jener grollende Donner vernehmen, den keiner vergessen kann, der ihn einmal gehört hat, der Donner der Löwenstimme. Assad-Bei, der Herdenwürger, nahte sich, um sein Nachtmahl zu holen. Wieder und näher ertönte seine Stimme – – ich erwachte.
    Dattelpalmensaft.
    War das ein Traum gewesen? Neben mir lagen die beiden Abu-Hammed-Araber, und ich hörte, wie der eine die heilige Fatcha betete. Da grollte der Donner zum drittenmal. Es war Wirklichkeit – ein Löwe umschlich das Lager.
    »Schlaft ihr?« fragte ich.
    »Nein.«
    »Hört ihr den Löwen?«
    »Ja. Heute ist es das dritte Mal, daß er sich Speise holt.«
    »Tötet ihn!«
    »Wer soll ihn töten, den Mächtigen, den Erhabenen, den Herrn des Todes?«
    »Feiglinge! Kommt er auch in das Innere des Lagers?«
    »Nein. Sonst ständen die Männer nicht vor ihren Zelten, um seine Stimme vollständig zu hören.«
    »Ist der Scheik bei ihnen?«
    »Ja.«
    »Gehe hinaus zu ihm und sage ihm, daß ich den Löwen töten werde, wenn er mir mein Gewehr giebt.«
    »Du bist wahnsinnig!«
    »Ich bin vollständig bei Sinnen. Gehe hinaus!«
    »Ist es dein Ernst?«
    »Ja; packe dich!«
    Es hatte sich eine ganz bedeutende Aufregung meiner bemächtigt; ich hätte meine Fessel zersprengen mögen. Nach einigen Minuten kehrte der Mann zurück. Er band mich los.
    »Folge mir!« gebot er.
    Draußen standen viele Männer, mit den Waffen in der Hand; aber keiner wagte es, aus dem Schutze der Zelte zu treten.
    »Du hast mit mir sprechen wollen. Was willst du?« fragte der Scheik.
    »Erlaube mir, diesen Löwen zu erlegen.«
    »Du kannst keinen Löwen töten! Zwanzig von uns reichen nicht aus, ihn zu jagen, und mehrere würden sterben daran.«
    »Ich töte ihn allein; es ist der erste nicht.«
    »Sagst du die Wahrheit?«
    »Ich sage sie.«
    »Wenn du ihn erlegen willst, so habe ich nichts dagegen. Allah giebt das Leben und Allah nimmt es wieder; es steht alles im Buche verzeichnet.«
    »So gieb mir mein Gewehr!«
    »Welches?«
    »Das schwere, und mein Messer.«
    »Bringt ihm beides,« gebot der Scheik.
    Der gute Mann sagte sich jedenfalls, daß ich ein Kind des Todes und er dann unbestrittener Erbe meines Pferdes sei. Mir aber war es um den Löwen, um die Freiheit und um das Pferd zugleich zu thun, und diese Drei konnte ich haben, wenn ich in den Besitz meiner Büchse gelangte.
    Sie wurde mir nebst dem Messer gebracht.
    »Willst du mir nicht die Hände frei machen lassen, o Scheik?«
    »Du willst wirklich nur den Löwen erschießen?«
    »Ja.«
    »Beschwöre es. Du bist ein Hadschi; schwöre es bei dem heiligen Zem-Zem, welchen du in der Tasche hast.«
    »Ich schwöre es!«
    »Löst ihm die Hände!«
    Jetzt war ich frei. Die anderen Waffen lagen im Zelte des Scheik, und vor demselben war der Rappe. Ich hatte keine Besorgnis mehr.
    Es war die Stunde, in welcher der Löwe am liebsten um die Herden schleicht, die Zeit kurz vor dem Morgengrauen. Ich fühlte an meinen Gürtel, ob der Patronenbeutel noch vorhanden sei, dann schritt ich bis zum ersten Zelte vor. Hier blieb ich eine Weile stehen, um mein Auge an die Dunkelheit zu gewöhnen. Vor mir und zu beiden Seiten gewahrte ich einige Kamele und zahlreiche Schafe, die sich zusammengedrängt hatten. Die Hunde, welche sonst des Nachts die Wächter dieser Tiere sind, waren entflohen und hatten sich hinter oder in die Zelte verkrochen.
    Ich legte mich auf den Boden nieder und kroch leise und langsam vorwärts. Ich wußte, daß ich den Löwen noch eher riechen würde, als ich ihn bei dieser Dunkelheit zu Gesichte bekommen konnte. Da – – es war als ob der Boden unter mir erbebte – erscholl der Donner dieser Stimme seitwärts von mir, und einige Augenblicke darauf vernahm ich einen dumpfen Schall, wie wenn ein schwerer Körper gegen einen andern prallt – ein leises Stöhnen, ein Knacken und Krachen wie von zermalmt werdenden Knochen – und da, höchstens zwanzig Schritte vor mir funkelten die beiden Feuerkugeln: – ich kannte dieses

Weitere Kostenlose Bücher