Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
mir!«
Seine Bestürzung war keineswegs erheuchelt. Ich sah seinem Gesichte an, daß er sich wirklich in dem Glauben befunden hatte, den Kameraden hinter sich zu haben.
»Aber wo ist er denn?« fuhr ich fort.
»Nabedid almisch, boghulmisch, kajb etmisch, jog etmisch, bozmisch, sindirmisch – verschwunden, verdunstet, verloren, vernichtet, verwischt, verdaut!« antwortete er in seiner unbeschreiblichen Verblüffung.
»Aber Du mußt doch gemerkt haben, daß er zurückgeblieben ist!«
»Wie soll ich das merken? Hast denn Du es gemerkt? Ich werde sofort zurückeilen, um ihn zu holen!«
Er machte Miene, diesen Vorsatz auszuführen. Auf diese Weise hätte auch er sich vortheilhaft nach rückwärts zu concentriren vermocht.
»Halt!« sagte ich aber. »Du bleibst! Wir haben keine Zeit, diesen Ausreißer zu suchen oder zu warten, bis Du ihn gefunden hast!«
»Aber er soll doch mitreiten!«
»Das mache Du später mit ihm ab, wenn Du wieder in Edreneh bist! Jetzt folgst Du uns! Hadschi Halef Omar, habt, wenn ich fort bin, auf diesen Onbaschi ein wachsames Auge, damit er seine Pflicht erfülle!«
Jetzt ließ ich den Rapphengst laufen und konnte schon nach kurzer Zeit die Andern nicht mehr hinter mir erblicken.
In jener Gegend sind die Flecken nach bulgarischer Weise angelegt. Ein Bulgarendorf oder Celo liegt sehr oft von der Landstraße, oder was man mit diesem Namen zu bezeichnen beliebt, entfernt und folglich unsichtbar für die Mehrzahl der Reisenden. Gewöhnlich dehnt sich der Celo der Länge nach auf einer Prärie am Rande eines Baches aus, der ihm als Graben und natürliches Schutzmittel dient.
Jedes dieser Dörfer, die ziemlich eng auf einander folgen, zählt nur wenige Höfe, welche durch Grasplätze von einander getrennt sind. Sechs bis zehn Hütten bilden einen Hof. Diese Hütten werden entweder in die Erde gegraben und mit einem kegelförmigen Dache von Stroh oder Zweigen versehen, oder man errichtet sie aus Weidengeflecht, in welchem Falle sie das Aussehen von großen Körben besitzen. Jeder und Jedes hat seine abgesonderte Wohnung in diesen Höfen. Es gibt Hütten für die Menschen, für die Pferde, die Rinder, die Schweine, die Schafe und die Hühner. Diese Thiere verlassen beliebig ihre Wohnungen und wandern friedlich zwischen den Höfen umher.
Westeuropäische Chausseen giebt es nicht. Schon das Wort Straße sagt viel zu viel. Will man von einem Celo zum andern, so sucht man sogar meist vergebens nach der Verbindung, welche wir einen Pfad oder Weg zu nennen gewöhnt sind. Wer fremd ist und ein nicht ganz und gar nahes Ziel verfolgt, muß, falls er von dem Ochsenkarrengleis, welches hier als Straße gilt, abweichen will, den Instinkt des Zugvogels besitzen und ist doch schlimmer daran, als dieser, da der Vogel die Luft ungehindert nach jeder Richtung durchstreichen kann, dem Menschen sich hier aber hundert Hindernisse in den Weg legen.
Ich beging wirklich ein Wagniß, als ich von dem nach Adatschaly führenden Wege abwich. Ich wußte nur, daß Mastanlyziemlich genau in südwestlicher Richtung lag, und konnte mich auf unüberbrückte Bäche, unbequeme Thäler und waldige Strecken gefaßt machen.
Zwischen nicht sehr zahlreichen Feldern und Rosengärten und über sonnverbrannte Grasflächen hin gelangte ich an mehreren Dörfern vorüber, bis ich doch endlich das Bedürfniß fühlte, mich zurecht zu fragen.
Hinter einem urwüchsig aus Weidenruthen gezogenen Zaun sah ich einen alten Mann beschäftigt, Rosenblätter einzusammeln. Ich lenkte das Pferd an den Zaun und grüßte. Er hatte mein Kommen nicht bemerkt und erschrack, als er meine Stimme hörte. Ich ersah, daß er mit sich zu Rathe ging, ob er näher kommen oder sich hinter die Rosenbüsche zurückziehen solle, und beeilte mich daher, ihm durch einige Worte Vertrauen einzuflößen. Das wirkte wenigstens so weit, daß er langsam herbeigeschritten kam.
»Was willst Du?« fragte er.
Er musterte mich mit mißtrauischem Blick.
»Ich bin ein Dilendschi,« antworte ich. »Möchtest Du mir nicht eine Gul es Semawat schenken? Dein Garten ist voll dieser herrlichsten der Rosen.«
Da lächelte er mich freundlich an und sagte:
»Reitet ein Bettler solch ein Pferd? Ich habe Dich noch nie gesehen. Du bist fremd?«
»Ja.«
»Und Du liebst die Rosen?«
»Sehr.«
»Ein böser Mensch ist nicht ein Freund der Blumen. Du sollst die schönste meiner Himmelsrosen haben, halb Knospe und halb aufgeblüht; dann ist ihr Duft so süß und entzückend, als komme er
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