Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Seltenes!
Und jetzt hörte ich das vorige Geräusch. Es war raschelnd und polternd und kam unter der Fallthüre hervor.
Ich holte mir noch mehrere Späne und hob dann die Thüre empor. Das Weidengeflecht derselben konnte einen Menschen tragen, ohne durchzubrechen, weil es über Pfosten befestigt war. Ich leuchtete hinab. Der Span brannte so düster, daß ich nur mit Mühe bemerken konnte, daß der Keller über Mannestiefe hatte.
Eine Treppe oder Leiter sah ich nicht. Doch sobald der Schein des Lichtes hinabfiel, ließ sich unten ein sehr deutliches Stöhnen vernehmen.
»Kün aschaghda – wer ist da unten?« fragte ich laut.
Ein doppeltes Stöhnen antwortete. Das klang gefährlich. Ich konnte nicht ewig nach einer Leiter suchen. Ich nahm den brennenden Span in die eine Hand und die andern Späne in die zweite Hand und sprang hinab.
Ich trat mit den Füßen auf einen unten liegenden Gegenstand und stürzte hin. Das Licht erlosch. Aber in einigen Sekunden hatte ich den Span wieder angebrannt und leuchtete umher.
Ich befand mich in einem viereckigen, kellerartigen Loch und erkannte in dem Gegenstand, auf den ich gesprungen war, eine Leiter. Da unten lagen Holzkohlen neben allerlei Gerümpel, und Beides, die Kohlen und das Holzgerümpel, bewegte sich.
Ich fand ein für den Span bestimmtes Loch, steckte ihn hinein und begann, die Kohlen zur Seite zu räumen. Meine Hände trafen auf eine menschliche Gestalt, welche ich hervorzog. Es war ein Mann, an Händen und Füßen gebunden; der Kopf war fest in ein Tuch eingewickelt.
Rasch löste ich den Knoten des Tuches, und nun kam ein blauschwarzes Gesicht zum Vorschein, welchem ich bei der mangelhaften Beleuchtung nicht anmerken konnte, ob diese Färbung eine Folge von Ruß und Kohlen oder des nahe gewesenen Erstickungstodes sei.
Der Mann holte tief und keuchend Athem, starrte mich mit weit hervorgetretenen, blutunterlaufenen Augen an und stöhnte dann:
»Bre, he; kerem ediniz – ha, zu Hülfe! Habe Gnade, Gnade!«
»Teskin-etmisch; im senin dost – sei ruhig; ich bin Dein Freund!« antwortete ich. »Benim-war sana chalas – ich bringe Dir Rettung!«
»Kurtar ewwel fil hal benim awret – rette vorher geschwind mein Weib!« stieß er hervor.
Der brave arme Kerl dachte mehr an seine Frau als an sich.
»Ne jerde ol – wo ist sie?«
»Schurda – dort!«
Er konnte mit seinen gefesselten Händen keine Bewegung machen; aber sein Blick war voll Angst auf einen zweiten Kohlenhaufen gerichtet, welcher mit dem erwähnten Gerümpel belastet war.
Ich räumte dasselbe weg und zog die Frau hervor, welche ganz ebenso wie ihr Mann gebunden war. Als ich das Tuch von ihrem Gesicht entfernt hatte, bemerkte ich einen dicken Schaum vor ihrem Mund. Sie war dem Ersticken nahe gewesen.
»Ma una, ma una – zu Hülfe, zu Hülfe!« erklang es gurgelnd.
Ihr Körper bewegte sich in krampfhaften Zuckungen. Ich schnitt mit dem Messer die Stricke durch. Sie warf die Arme wie eine Ertrinkende um sich, stampfte mit den Füßen und schnappte nach Luft.
Diese Bewegungen waren dem Athmen förderlich. Ein heiserer Schrei entrang sich ihrer Brust, und dann schöpfte sie in einem langen, langen Zuge den entbehrten Odem.
Nun schnitt ich auch die Fesseln ihres Mannes durch. Er hatte nicht so viel gelitten wie sie und richtete sich sofort empor. Während ich einen neuen Span ansteckte, rief er aus:
»Ja rahim! Idi-k ölüma jakin – o Gott! Wir waren dem Tode nahe! Ejwallah; müteschekkürüm – ich danke Dir; ich danke Dir!«
Dann kniete er zu seiner Frau nieder, die zum Erbarmen schluchzte.
»Sus, susol; etme aghlamak – still, still; weine nicht!« bat er sie. »Iz serbest – wir sind frei!«
Er nahm sie in die Arme und küßte ihr die Thränen von den Wangen. Sie umschlang ihn und schluchzte weiter. Ohne mich jetzt zu beachten, sprach er ihr beruhigend zu, bis ihr leiser und leiser werdendes Weinen ganz aufgehört hatte. Dann richtete er sie auf und wendete sich wieder zu mir, da ich unterdessen beschäftigt gewesen war, das Licht mittels neu aufgesteckter Späne zu unterhalten.
»Herr,« sagte er, »Du bist unser Befreier, unser Retter. Wie sollen wir Dir danken! Wer bist Du, und wie ist es Dir gelungen, uns zu finden?«
»Das sind mehrere Fragen,« antwortete ich, »die ich Euch oben beantworten werde. Kann Deine Frau jetzt wieder gehen?«
»Ja, sie wird es können.«
»So laß uns nach oben steigen, ich darf nicht zu lange unten sein.«
»Hast Du Gefährten oben?«
»Nein.
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