Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
gezogen,
des Träumenden gewürzger Atemzug,
der in des Maienduftes zarten Wogen
des Waldes Seele auf zum Himmel trug.Dort schwebte sie zur ewgen Gnadenquelle,
vor der die Bitte um das Leben kniet,
und wie vom Vöglein an der Waldkapelle
erklang ein sanftes, frommes Klagelied:»Es preisen dich des Firmamentes Heere,
auf deren Licht dein Ruhm herniederschallt.
von ihm erfüllt sind alle Weltenmeere;
im Tau und Regen trinkt ihn auch der Wald.Von da soll er aus tausend Quellen fließen,
dem Erdenland zum Heil und Segen sein,
in alle Flüsse, Ströme sich ergießen
und dich verkünden, Vater, dich allein.Doch schau hinab! Die Menschen, die du segnest,
begreifen deine Gottesweisheit nicht.
Die Liebe, die du ihnen niederregnest,
wird ihrem Unverstand zum Strafgericht.Sie haben weder dich, o Herr, verstanden,
nach deines freundlichsten Gesetzes Sinn;
drum handeln sie, als sei ich nicht vorhanden,
obgleich ich ihnen unentbehrlich bin.Laß mich nicht sterben, laß mich nicht verschmachten,
sonst ist’s auch um ihr eignes Heil geschehn.
Lehr sie, den Wald mit Liebe zu betrachten,
damit sie endlich seine Seele sehn!«Sie schwieg und senkte wartend ihren Schleier;
der Traum entfloh; es war die Nacht vorbei.
Die Erde lag in stiller Morgenfeier;
ein Glöcklein kündete, daß Sabbat sei.Der Wald erwachte, und der Vöglein Lieder
erklangen jubelnd über Berg und Tal.
Die Seele kehrte aus dem Himmel wieder,
getragen von dem ersten Sonnenstrahl.Sie tauchte in des Weihers klare Welle
und stieg sodann ans tauesfrische Land,
empfangen von dem Kehlchen der Kapelle,
bei dem sie nun des Vaters Antwort fand:»Ich ließ für dich das Sabbatglöcklein läuten:
Es läutete den Waldesfrieden ein.
Das hat für dich Erhörung zu bedeuten;
du sollst fortan dem Menschen heilig sein.Er wird nun deine Sänger nicht nur hören;
er wird das, was sie singen, auch verstehn:
›Hör auf, hör auf, die Wälder zu zerstören,
sonst wirst mit ihnen du auch untergehn!‹«
Die Ehe
Betrachte dich, und werde, was du bist!
Ein Mann bist du, und hast’s doch erst zu werden.
Weißt du vielleicht, was an dir männlich ist?
Der Körper, die Bewegung, die Geberden.
Du bist so ernst, energisch, alles Das,
was man am Manne lobt, wenn man es findet,
und weißt auch leicht zu überwinden, was
ein Anderer nur mühsam überwindet.
Und doch, und doch – – o sähest du es ein! – –
Bist du noch weit entfernt, ein Mann zu sein.Als Mann ererbtest du die heilge Pflicht,
zu suchen, was der erste Mann verloren,
das Paradies, und findest du es nicht,
so wurdest du für hier umsonst geboren.
Denk dich als Den, der aus dem Eden ging,
und sinne nach, so wirst du dich erinnern.
Such nach der Heimat, die dich einst umfing;
den Schlüssel trägst du stets in deinem Innern.
Liebst du dein Weib, so führ’s dort wieder ein;
dem wahren Manne wird es möglich sein.Betrachte dich, und werde, was du bist!
Ein Weib bist du, und hast’s doch erst zu werden.
Weißt du vielleicht, was an dir weiblich ist?
Der Körper, die Bewegung, die Geberden,
du bist so fromm, versöhnlich, mild und zart;
du liebst die Deinen, wie nur Frauen lieben.
Du warst als Kind von guter Kinder Art
und bist so herzig, wie du warst, geblieben.
Und doch und doch – – O sähest du es ein! –
Bist du noch weit entfernt, ein Weib zu sein.Als Weib ererbtest du die heilge Pflicht,
zu suchen, was das erste Weib verloren.
Das Paradies, und findest du es nicht,
so bist und hast du hier umsonst geboren.
Denk, du seist Die, die einst der Herr verstieß,
weil sie die Himmelsliebe nicht verstanden.
Such nach der Heimat, nach dem Paradies;
es bleibt der Liebe ewig zugestanden.
Den Mann, das Kind, führ sie dort mit dir ein;
dem wahren Weibe wird es möglich sein.Betrachtet euch, und werdet, was ihr seid!
Ja, ihr seid Mann und Weib; ich hör’s euch sagen.
Das heißt, Ihr seid’s geworden für die Zeit,
in welcher euch die Erdenstunden schlagen.
Und wer als Christ sich zeigen will, der spricht:
Den Bund der Herzen trennen selbst die Schauer
des Todes und des offnen Grabes nicht;
er ward geweiht und ist von ewger Dauer.
Und doch, und doch – – o sähet ihr es ein! – –
Liegt’s euch noch ferne, Mann und Weib zu sein.Als Mann und Weib ererbtet ihr die Pflicht,
zu suchen, was das erste Paar verloren,
das Paradies, und findet ihr es nicht,
so werden euch die Engel wohl geboren,
die euch mit liebewarmem Kindermund
Das selige Geheimnis offenbaren:
»Das Eden« hieß die ganze Erdenrund,
als noch die Menschen
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