Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
niederstürzten, war alles Geschäftigkeit, und wir sahen durch unsere Giebelfensterscheibe, deren kleine Gardine wir ängstlich zurückgestreift hatten, wie sie drunten die Schiffe fester an die Pfähle banden, aber doch zugleich auch die Boote von Bord her ans Ufer brachten, um eine letzte Rettung zu haben für den Fall, daß es zum Schlimmsten käme. Denn der Nordwester staute nicht nur den Strom zurück, sondern trieb auch das Flutwasser mit solcher Gewalt von draußen her in den Strom hinein, daß es am Kai hin oft nur noch zollbreit unter der obersten Balkenlage stand. Und einmal – ich seh’ es, als ob es gestern gewesen wäre – stieg es drüben hinaus, und im Nu war die niedriger liegende Stadt ein See von einem Punkte zum andern, und in unsern Flur hinein stürzte die Welle. Da schrien wir auf, denn nun erfüllte sich unser Schicksal, und wir mußten untergehen, wie Vineta untergegangen war.«
»Aber der Herr, der den Winden gebietet…«
»Gebot ihnen auch diesmal wieder, und was in der Nacht unser Entsetzen gewesen war, das war tags darauf unsere Lust und unsere Wonne. Die flottgemachten Boote fuhren jetzt hin und her: unser Nachbar, der Bäcker, landete mit seinen Wecken und Semmeln, und als es Tag geworden und ein klarer, blauer Himmel über der Stadt war, waren wir glücklich, uns zu Schiff abholen und zu Schiff in die Schule fahren zu können. Und glücklich wie wir war die ganze Stadt. Über Tonnen und Bretter hin ging der Verkehr, bis nach abermals einer Woche die große Sintflut verlaufen und ein dichter Schnee gefallen war.
Und unter Schellengeläute ging’s nun durch die verschneite Stadt hin, über deren Schneedächern die Wimpel und Flaggen jetzt wieder flatterten und beinahe lustiger noch flatterten als um Johannistag und die Sommerzeit.«
Zehntes Kapitel
An diese Schilderungen hatte sich noch eine ziemlich lebhafte Plauderei zwischen Feßler und Franziska geknüpft. Er ließ sich aus dem Gesellschaftsleben der kleinen norddeutschen Stadt erzählen und tat Fragen über Fragen. Am meisten interessierten ihn die Bilder aus dem lutherischen Pfarrhause: der reiche Kindersegen, das Whistspiel und die Pastoralkonferenzen. Alles begegnete sowohl von seiner wie von der Gräfin Seite der unverkennbarsten Teilnahme, jede Miene verriet es, und nur Graf Adam, der doch sonst der lauteste Bewunderer solcher Schilderungen und Gespräche zu sein pflegte, war auffallend still geworden. Er sann offenbar anderen Fragen und Dingen nach, antwortete zerstreut und spielte mit der Gardinenquaste, die neben seinem Stuhl herabhing. Er war deshalb auch einverstanden damit, daß man früher aufbrach als gewöhnlich, und gefiel sich weder in Neckerei noch Widerspruch, als Feßler um die Ehre bat, Franziska bis an ihre Wohnung begleiten zu dürfen. Ja, er lächelte kaum und zog sich, als beide gingen, in sein Zimmer zurück, das unmittelbar über dem Salon seiner Schwester gelegen war.
Diese war daran gewöhnt, die nervöse Lebhaftigkeit ihres Bruders ohne besondere Veranlassung in ihr Gegenteil umschlagen zu sehen, und verwunderte sich deshalb erst, als er am nächsten Morgen ohne weitere Grundangabe sein Ausbleiben beim Frühstück entschuldigen ließ. Zugleich hörte sie, daß er in seinem Zimmer auf und ab schritt wie jemand, der von einer schweren inneren Unruhe gequält wird. Was mocht’ es sein? Was war vorgefallen, das ihn hätte verstimmen können? Sie sann darüber noch nach, als der alte Graf in ihren Salon eintrat, eleganter gekleidet als gewöhnlich und überhaupt in einer Haltung wie jemand, der zur Audienz erscheint oder einen ernsthaften Vortrag halten will.
Er ging auf die Schwester zu, begrüßte sie mit besonderer Artigkeit und nahm einen Stuhl. Aber er kippte mit demselben nur hin und her, während er sich über die hohe Lehne desselben vorbeugte.
»Habe mit dir zu sprechen, Judith. Bist du bei Laune?«
Die Gräfin war ersichtlich unruhig geworden. »Ich glaube, du weißt, Adam, daß ich das nicht kenne, was man Laune nennt. Aber vor allen Dingen bitt’ ich dich, Platz zu nehmen.«
»Nein, nicht Platz nehmen; ich kann dann nicht sprechen; es wird dann alles wie Staatsaktion. Laß mich hier stehen oder noch lieber auf und ab gehen; der Teppich wird ohnehin Sorge dafür tragen, es nicht allzu störend für dich zu machen. Und nun ist es wohl das beste, mit der Tür ins Haus zu fallen: Ich habe vor, mich zu verheiraten.«
Judith erschrak heftig, aber sie war doch andererseits auch so
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