Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
die Stelle, wo der artesische Brunnen gegraben wurde, dann kamen gespannte Teiche mit Hängeweiden, bis endlich eine schon ganz am Fuße des Berges gelegene Hütten- und Häuserreihe folgte, darin alles wohnte, was man trotz seiner Zugehörigkeit zu Haus und Herrschaft oben im Schloß nicht haben wollte: Slowaken und Walachen und der alte Zigeunerkönig Hanka, der von hier aus seinen meist auf der Wanderschaft begriffenen, ziemlich reichen Clan regierte. Zuverlässig war nur Klaus Ambronn, ein deutscher Schmied aus den Rheinlanden her, der, soweit es ging, nach dem Rechten sah und das Amt eines Vogts oder Schultheißen verwaltete.
Der Graf freute sich der Teilnahme, die Franziska sichtlich bewies und die noch wuchs, als sie wahrnahm, daß unter des Schloßherrn Passion auch die Parkpassion eine Rolle spielte. Geschickt raffte sie zusammen, was ihr von Sanssouci, Wörlitz und dem Dresdner Großen Garten her noch in Erinnerung war, und zog allergewagteste Parallelen, die jedoch dadurch eher gewannen als verloren, indem sie dem Grafen, was er sehr liebte, Gelegenheit zu Berichtigungen und Erklärungen boten.
Ausgangs der Hütten- und Häuserreihe stand eine Gruftkapelle, wenig über hundert Jahre alt, durch deren Gitterstäbe Franziska die großen Metallsärge stehen und eine, so schien es, von der Wölbung herunterhängende Lampe mit mattem Schimmer brennen sah. Sie wollte fragen, was es sei, bezwang sich aber und schwieg und beglückwünschte sich gleich darnach zu diesem Schweigen, als sie von der Kapelle her in einen entzückenden Wiesengrund einbogen, darin ein von einem Nachbarberge herankommender Bach schäumte. Zahlreiche Birkenbrücken führten von einem Ufer aufs andere hinüber und herüber, und an ebendiesem Bache hin ging jetzt eine halbe Stunde lang die Fahrt, bis der Graf, eine Kurve nach rückwärts hin beschreibend, einen breiten Platanenweg erreichte, der in seiner Verlängerung allmählich wieder auf die Schloßhöhe hinaufführte.
Franziska war sehr glücklich. Namentlich die Wiesengrundpartie hatte sie wirklich erquickt, und ein leises Unbehagen kam ihr erst wieder, als sie bei der Rückkehr in den Schloßhof des Glockenturms und der offenen Dachstelle darüber ansichtig wurde. Doch es ging rascher vorüber, als sie dachte, vielleicht weil ihr Hannahs Bild wieder in Erinnerung kam. »Ja, diese Bibel- und Gesangbuchleute«, sagte sie, »sie sind doch beneidenswert und nicht bloß besser, sondern auch klüger als wir. Wirklich, es verlohnte sich nicht, eine Stunde zu leben, wenn ein Menschenlos daran hinge, ob eine Glocke springt oder nicht.«
Sechzehntes Kapitel
Der alte Toldy, der den Gärtner inzwischen abgelegt und den Galeriediener angezogen hatte, wartete schon auf der Rampe. Mit ihm Andras.
»Alles in Ordnung, Toldy?« fragte der Graf.
Toldy nickte.
»Gut. Aber wir wollen nicht hier hinauf, nicht die große Treppe; ich will der Gräfin den alten Turm zeigen.«
Unter diesen Worten nahm er Franziskas Arm und führte sie, während Andras vorauflief und Toldy folgte, bis an einen alten, an den neueren Schloßbau sich anlehnenden Eck- und Feldsteinturm, in dem eine Wendeltreppe zwei Stock hoch hinaufstieg. Alles Licht kam durch schmale, nur handbreite Scharten, die von fünf Schritt zu fünf Schritt das dicke Mauerwerk durchbrachen. An einer dieser Öffnungen hielt der Graf und wies auf die Landschaft, die sich gerade von hier aus in einer besonderen Schönheit zeigte: Weithin sichtbar flimmerte der See, rechts daneben aber stieg ein hoher und scharf profilierter Felskegel auf, der »der Bischof« hieß, weil man den Stab und die Bischofsmütze deutlich erkennen zu können glaubte.
Wieder einige Stufen höher war an Stelle der Scharten eine niedrige, mit dem Neubau Verbindung haltende Spitzbogentür, und hier stand Andras, um durch eine tunnelartige Passage hin den Weg zu zeigen. Der Graf bückte sich und reichte von rückwärts her Franziska die Hand.
Als diese glücklich aus dem Defilee heraus war, war sie frappiert von der Anmut des unmittelbar dahintergelegenen Zimmers, das in diesem Augenblick nach der eben passierten Enge beinahe geräumig wirkte, trotzdem es nur ein einziges erkerartig vorspringendes Fenster, ein sogenanntes bow window, hatte. Dies Zimmer hieß das Howardkabinett und enthielt ausschließlich Landschaften, die der englischen Mutter des Grafen, der schönen Arabella Howard, bei Gelegenheit einer Erbschaft zugefallen waren. Einige dieser Landschaften waren von
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