Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
Psychiatrie und Psychologie, Dr. Günther P. aus Berlin wird noch am gleichen Abend hinzugezogen. Oberstaatsanwalt Holger Illing und Polizeipräsident Dieter Kroll kennen den Arzt aus früheren Fällen, in denen er als forensisch-psychiatrischer Gutachter für sie tätig war.
Mario L. schweigt bisher beharrlich, kein einziges Wort ist über seine Lippen gekommen. Noch haben die Ermittler die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Ayla noch lebt.
Der Fachmann soll nun psychologische Hilfe leisten, den Täter »öffnen«, ihn analysieren, vergleichbare Muster finden, eventuell Auskunft geben, ob das Kind noch am Leben ist. Dr. Günther P. kann L. lediglich die Aussage entlocken, dass dies »eher nicht« der Fall sei.
Die Zeit ist knapp bemessen. Nach L.s Festnahme haben die Beamten bis 0:00 Uhr am nächsten Tag Zeit, ihn mit der Tat in Verbindung zu bringen, sonst müssen sie ihn wieder freilassen. Nicht mehr als 36 Stunden dürfen von der Festnahme bis zum Geständnis vergehen. Im Auto des Tatverdächtigen wird eine Blutspur gefunden, aber die Untersuchung dieser und der anderen Spuren wird länger als bis Mitternacht des 18. Mais 2005 andauern.
L.s Wege am 17. Mai werden minutiös rekonstruiert.
Beamte durchsuchen seinen Spind in den Räumen der Gößnitzer Firma. Sie finden einen Stoffbeutel, Kinderfotos aus Katalogen, auf denen jemand mit einem Kugelschreiber herumgekritzelt hat und einen Brief seiner Lebensgefährtin Kathrin. Nichts, was ihn mit Ayla in Verbindung bringt.
Mario L. benennt zu seiner Verteidigung einen Anwalt, den er kennt. Dieser spricht unter vier Augen mit seinem Mandanten und erklärt im Anschluss, er werde das Mandat nicht übernehmen.
Hat L. dem Anwalt etwas gestanden? Ist der Anwalt von der vermuteten Tat so betroffen, dass er L. nicht emotionslos verteidigen kann? Welchen Stand hätte ein einheimischer Anwalt, der solch einen Täter verteidigt hat, in Zukunft bei der Bevölkerung,? Oder hat der Verdächtige gar nichts gesagt und der Anwalt sieht sich so nicht in der Lage, ihn zu verteidigen? Die Gründe bleiben im Dunkeln. Der Mann benennt einen Kollegen, der schließlich die Verteidigung übernimmt.
Am Nachmittag des 18. Mais 2005, gegen 15:00 Uhr, spricht Mario L. zum ersten Mal. Die DNA-Spuren in seinem Fahrzeug bringen ihn eindeutig mit der Entführung des Kindes in Verbindung. L.
versucht zu erklären, präsentiert eine Geschichte: In den Niederlanden habe er tschechische Menschenhändler kennen gelernt.
Diese hätten ihm für die Entführung eines kleinen Mädchens 200000 Euro geboten. Da habe er Ayla verschleppt, um sie zu verkaufen. Er habe das Kind in einen Bunker nahe Auerbach (bei Zwickau) gebracht, dort sei die Übergabe erfolgt. L. kann die Lage und den Bunker selbst exakt beschreiben, kennt jedes Detail. Hat er das Versteck vorher ausgekundschaftet?
Für kurze Zeit flammt Hoffnung auf. Ist das vermisste Mädchen dort? Bunker und Umgebung werden untersucht. Keine Spuren von Ayla, nichts deutet darauf hin, dass das Kind hier war.
Die Ermittler glauben L. die Geschichte mit den Menschenhändlern nicht. Er verstrickt sich zunehmend in Widersprüche.
Die Vernehmungen werden weitergeführt. Die Zeit verrinnt. L. erzählt aus seinem Leben.
Erst der Haftrichter, der L. vernimmt, kann am Abend des 18. Mais die Mauer durchbrechen. Eindringlich malt er Mario L. das Bild eines kleinen Mädchens, das im dunklen Wald liegt, allein in der Finsternis, umgeben von Tieren, appelliert an das Mitgefühl des Verdächtigen, ihm selbst laufen dabei die Tränen über das Gesicht. Irgendetwas an dieser Szenerie dringt zu Mario L. durch. Er kritzelt auf ein vor ihm liegendes Blatt die Worte »Ich war’s.« Mehr nicht. Noch immer schweigt er. Jetzt holt ein Beamter einen Autoatlas, legt ihn vor L. auf den Tisch, fordert ihn auf, den Tatort zu zeigen.
Und L. zeigt. Langsam, fast ein wenig retardiert, zieht er einen Kreis um ein kleines Stückchen Grün zwischen den Orten Mosel und Dänkritz.
L. spricht es nicht aus, aber die Beamten ahnen es: Ayla ist tot. Sie werden sie in einem Waldstück in einer Bodenmulde versteckt finden, bedeckt mit Laub und Zweigen.
Die Beamten müssen jetzt überlegt handeln. Vor dem Gebäude warten Presse und Fernsehsender mit ihren Übertragungswagen. Sie schicken mehrere Polizeifahrzeuge mit Blaulicht in die falsche Richtung. Dann fahren Ermittlungsrichter, Staatsanwalt und Polizei mit dem Verdächtigen zu dem Waldstück, das L. auf der Karte eingekreist hat. Er
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