Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
befragt, die Michelle auf dem Heimweg entlang gegangen ist, beginnend mit der Martinstraße bis hin zu der Straße, in der sie wohnt. Ein Polizeiauto fährt durch die Straßen und gibt per Lautsprecher Michelles Personenbeschreibung bekannt. Ein erstes Fahndungsplakat wird verteilt und ausgehängt. Auf dem Bild, das später überall zu sehen sein wird, schaut Michelle freundlich, mit schräg gelegtem Kopf, in die Kamera. Sie lächelt leicht. Ihre oberen Schneidezähne stehen keck hervor.
Neben dem fettgedruckten Wort »Vermisst« ist das sächsische Wappen abgebildet.
Seit dem 18.08.2008, wird das Kind
[…], Michelle
geb. am 15.01.2000 in Leipzig
wh. 04317 Leipzig, OT Reudnitz-Thonberg
vermisst (siehe Foto).
Die Vermisste verließ gegen 15:30 Uhr die Schule in der Martinstr., um nach Hause zu gehen. Sie kam aber nicht an. Sie könnte sich bei einem Schüler aufhalten oder hat die Nahverkehrsmittel genutzt und ist in unbekannte Richtung gefahren. Sie gilt als zuverlässiges Mädchen.
Personenbeschreibung:
scheinbares Alter ca. 8 Jahre,
ca. 130 cm bis 135 cm groß,
halblange rotblonde glatte Haare,
schlanke Gestalt,
blaue Augen, zwei größere vordere Schneidezähne.
Bekleidung:
7/8 hellblaue Jeanshose, gelbes T-Shirt, pinkfarbene Jacke, weiße Turnschuhe.
Sie hat eine pinkfarbene Tasche bei sich.
Hinweise zum Aufenthaltsort nimmt die Kriminalpolizei […] sowie jede andere Polizeidienststelle entgegen.
(V. i .S. d. P. Polizeidirektion Leipzig, 04107 Leipzig, Dimitroffstr. 01)
Die Ermittler suchen Zeugen, jeder, der etwas beobachtet haben könnte, sei es auch noch so unwichtig, wird gebeten, sich bei der Polizei zu melden. Alles kann für die Beamten von Bedeutung sein. Kann jemand Angaben zu dem ominösen »L« machen, das Michelle ihrer Schulfreundin gegenüber erwähnt hat? Die Freundin kann sich nicht mehr erinnern, was damit gemeint sein könnte, weder, ob es eine Person noch ein Ort gewesen sein könnten. Nur, dass es etwas mit dem Buchstaben »L« gewesen sei, das weiß sie. Und so muss die Polizei in der Folgezeit sowohl zu Personen mit »L«, als auch zu Örtlichkeiten, die mit dem Buchstaben beginnen, ermitteln. Wer hat das Mädchen am Montag, dem 18. August 2008 nach 15:30 Uhr noch gesehen?
Trotz des Großaufgebotes der Polizei bleibt die Suche auch an diesem Dienstag erfolglos.
Mittwoch, 20. August 2008
Erneut fliegt der Hubschrauber über Leipzig. Erneut wird eine Hundertschaft Polizisten mit Spürhunden ausgesandt, das Kind zu finden. Erneut rückt die Reiterstaffel aus. Michelle ist seit zwei Tagen verschwunden. Die Hoffnung, das Kind könne noch leben, schwindet von Stunde zu Stunde. Noch einmal werden die Anwohner der umliegenden Straßen befragt, nicht alle Mieter hat man beim ersten Mal in ihren Wohnungen angetroffen.
Bis jetzt sind etwa 25 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen – nicht sonderlich viele, und keiner davon führt die Ermittler zu dem vermissten Kind.
Anwohner finden einen weißen Turnschuh und eine pinkfarbene Jacke in einem Abrisshaus, Kleidungsstücke, die denen des vermissten Mädchens ähneln. Leider entpuppen sich die Funde als Fehlgriffe. Sie gehören nicht Michelle.
Die Polizei bittet die Bevölkerung darum, nicht auf eigene Faust in den verlassenen Gebäuden nach dem kleinen Mädchen zu suchen. Spuren könnten verwischt werden. Die Anzahl der eingegangenen Hinweise erhöht sich stündlich, steigt im Laufe des Tages auf über 100. Ein Mitschüler Michelles will sie vor ihrem Verschwinden am Montag mit einem Fremden auf einer Parkbank gesehen haben. Alle Hinweise bleiben jedoch ergebnislos, Michelle bleibt verschwunden.
An Michelles Grundschule soll in drei Tagen die Einschulung der neuen ersten Klassen stattfinden, im Normalfall eine feierliche und fröhliche Veranstaltung. Lehrer, Eltern und Bildungsagentur fürchten nun, dass die Medien dieses Ereignis instrumentalisieren werden.
Gemeinsam mit dem Pressesprecher der Bildungsagentur Leipzig, Roman Schulz, wird eine erste Zusammenkunft von Schulleitung, Referatsleitung und Schulpsychologen durchgeführt. Man vereinbart telefonische Rücksprachen für Donnerstag, den 21. August.
Medialer Druck baut sich auf. Zunehmend belagern Fernsehsender und Zeitungsreporter das Umfeld und die Schule. Die Leipziger Volkszeitung und der Fernsehsender RTL bitten die Bildungsagentur um Interviews.
Auch das Videomaterial, das von den Leipziger Verkehrsbetrieben zur Verfügung gestellt wurde, wird fieberhaft
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