Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
auch sein Bureau nicht mehr so fleißig besuchte, so zeigte er sich doch bisweilen dort oder arbeitete zu Hause mit seinem Personal und machte hier oder dort einen Be-such. Ebenso fing der Kaffee, sonst sein Lieblings-getränk, von dem er täglich eine,'vielleicht für seine Gesundheit zu große Portion zu $ich nahm, an, ihm zu widern, und diese auffallende Ümstimmung Vv-ar es, welche uns alle beunruhigte und, wie der Erfolg zeigte, leider mit Recht. Denn wie allmählich der Frühling herannahte, alles Leben in der Natur erwachte, alles neu zu erstehen und Kraft zu gewinnen anfing, nahm nur meines teuren Vaters Kraft und Leben täglich
H c. P. I
mehr und mehr ab, und doch war, wie schon gesagt, keine eigentliche Krankheit bei ihm vorhanden,/, welche ein so schnelles und gänzliches Hinwelken hättet begreiflich machen können. Ja sein Geist war ganz-heiter, und eine seiner liebsten Unterhaltungen war es nun, wenn ich ihm vorlas; denn auch die Musik, ehemals seine Lieblingsleidenschaft, war ihm gleich-gültig geworden, und wenn es ihm auch nicht zuwider war, wenn ich neben seinem Zimmer wie sonst spielte oder sang, zog er es doch vor, lesen zu hören.
Gegen den Anfang des Maimonats erklärten die Ärzte plötzlich, es wäre sehr heilsam, wenn mein Vater sogleich aufs Land gebracht würde, und wir sollten daher, sobald wir könnten, unsere Gartenwohnung be-ziehen, wo die reinere Luft günstig auf den Kranken wirken werde. So willkommen mir jeden Frühling der Ruf tönte, daß wir aufs Land gehen würden — denn ich war nie gern in der Stadt und kehrte jeden Herbst mit Widerwillen dahin zurück — so schien mir, bei der Unstetigkeit unseres Frühlingswetters, und der größe-ren Luftigkeit einer Sommerwohnung, dieser Befehl doch ein bißchen zu voreilig. Damals nämlich, wo die Menschen minder empfindlich gegen Rheumatismus, Luftzug oder gähe Abwechslungen der Temperatur waren, fiel es niemand ein, so wie jetzt fast allgemein, die Landhäuser wenigstens mit einigen Öfen und allen-falls auch mit Doppelfenstern zu versehen, ebensowenig als man in der Stadt oder den Vorstädten alle Trep-pen, Vorhäuser oder Korridors mit Glasfenstern und Türen zu verwahren und die Wohnungen so kompakt zu machen, wie jetzt geschieht, bedacht war. Ein offe-ner Gang, auf dem man im Winter durch den Schnee hindurch mußte, eine Treppe, ein Vorzimmer, das dem
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kalten Luftstrom ausgesetzt war, fiel niemanden be-schwerlich, und man bemerkte diese Unbequemlich-keiten entweder gar nicht oder ertrug sie als etwas, was nicht zu ändern war, mit Gleichmut.
In unserm ganzen, sehr geräumigen Landhause, in dem man wohl über zwanzig Zimmer zählte, war nur ein Ofen, und dieser mehr aus Vergeßlichkeit oder um sich keine Ungelegenheit mit dem Abbrechen zu ma-chen, als aus Bedürfnis stehen geblieben. Das Kabinett, in dem mein Vater schrieb und in den letzteren Jahren seines Lebens auch schlief, lag gegen Norden, genoß zwar der schönsten Aussicht über Felder und Wein-gärten bis zum Gebirg, war aber eben deswegen der Kälte sehr ausgesetzt. Indessen ging es die ersten Tage unseres Aufenthalts noch leidlich-. Mein Vater fühlte sich etwas besser; hoffen konnte ich nicht, denn die Abnahme der Kräfte war zu sichtbar und zu schreckend; aber es wurde doch möglich, an meines Bruders Ver^ mählung zu denken, welche auf den lo. Mai bestimmt war. Welches traurige Fest!
Es wurde, wie natürlich, im Hause der Braut, aber sowohl des Zustandes meines Vaters wegen, als auch weil beide Verlobte keine Freude an rauschenden Ver-gnügungen hatten, ganz in der Stille gefeiert. Ach! noch jetzt, nach so langen, langen Jahren, schwebt mir dieser Tag und das Bild meines Vaters, dessen gestick-tes Galakleid und stattlicher Hochzeitsputz einen noch schmerzlichem Gegensatz mit seinem kranken, hin-fälligen Aussehen bot, vor Augen. Mit Anstrengung brachten wir ihn in den Wagen, von da in die Kirche und endhch ins Hochzeitshaus, wo wenige Freunde nebst uns versammelt waren, und der Abend bei einem zwar sehr glänzenden Gouter, aber in der Vorahnung
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dessen, was uns allen nahe drohte, trüb und still ver-floß. Dieser trübe Hochzeitstag war gleichsam der Vorbote eines noch trübern Schicksals dieser Ehe, und zwei gute, sich liebende Menschen, die von diesem Tage das Glück ihres Lebens mit gerechten Hoffnungen er-warteten, sollten beide in wenigen Jahren — doch ich will der Zukunft nicht vorgreifen.
Mein Bruder war nun nach seinem Wunsche ver-mählt,
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