Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Angelegenheiten aller Art meinen Geist, mein Gefühl und meine ganze Muße streng und gebieterisch in An-spruch nahmen, dachte ich beinahe an keine Poesie, und auch die Zeitumstände waren durch die Kriegsbege-
C. Caspar pinx. C. Kohl sc.
k. k. Fidei-Commiß-Bibliothekj Wien
benheiten und die daraus entspringenden teils ängsten-den, teils drückenden Verhältnisse, der Poesie nichts weniger als günstig. Meine Phantasie schwieg ganz, und mein Geist lag im eigentlichen Sinne brach. Auch war unser Leben ziemlich einsam geworden. Wir brach-ten den Winter fast ohne allen Umgang zu; denn wenn jetzt noch die meisten Bewohner der innern Stadt den Weg in die Vorstädte scheuen, und das Glacis für viele ein nicht zu überschreitender Ozean ist, dessen Stürmen und Fährlichkeiten sie sich im Winter kaum auszusetzen wagen, wenn nicht eine sehr lockende Un-terhaltung sie dazu reizt und für die Beschwerhchkei-ten einer solchen Fahrt entschädigt, so kann man sich vorstellen, wie das vor mehr als vierzig Jahren war.
Wenn wir nicht nach der Stadt gingen, um einen Abend im Theater oder bei Freunden zuzubringen, saßen wir meistens ganz allein, und unsere Unterhal-tung .bestand darin, daß Pichler, wenn er abends nach Hause kam, uns vorlas, bis es Zeit zum Souper war, während meine Mutter strickte und ich spann, nach-dem ich meine Kleine schlafen geschickt hatte und mein Bruder ausgegangen war. Dennoch hatte auch dies sehr stille Leben, so auffallend es gegen das gesellige Geräusch in meines Vaters Hause abstach, und viel-leicht eben des Kontrastes wegen, einen großen Reiz für mich. Pichler brachte uns die neuesten Erschei-nungen im Fache der schönen Literatur, und wir ge-nossen recht tief und innig die damals höchst beliebten und bewunderten Romane von Lafontaines'^). Kam dann manchmal ein unvermuteter Besuch aus der Stadt, so vvoirde er mit großer Freude empfangen, nach Neuigkeiten befragt, wenn es ein Freund war, mit Pichler politisiert, und so verstrichen die stürmischen
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Abende wie auf dem Lande still und behaglich, bis endlich der Winter, in jenem Jahre etwas spät, dem Frühlinge wich, und nun die Arbeiten im Garten, um ihn neu anzulegen, beginnen konnten. Unter der Lei-tung eines Bekannten, welcher das, von den Schwieger-eltern meines Bruders im Winter nicht bewohnte Quartier gemietet hatte, und der sich trefflich auf Gartenkunst verstand, wurde die Wildnis geordnet, die schönen Bäume und Sträucher an passende Plätze ge-setzt, der schon erwachsenen so viel wie möglich ge-schont und so nach dem Geschmacke jener Zeit ein Garten voll Gebüsche, durch welche sich viele kleine, schmale Gänge schlängelten, hergestellt. Damals fand ihn jedermann schön, seitdem hat sich auch hierin, wie in allem, die Welt und der Geschmack verändert, und er mußte späterhin eben solchen Wechsel wie alle Dinge erfahren.
Um diese Zeit ungefähr fand mein Mann, als er eines Tages in meinen Schriften herumsuchte, das Manu-skript meiner Gleichnisse ^^^, welche ich viele Jahre früher bei verschiedenen Anlässen gedichtet, meiner Jugendfreundin Josefine gewidmet, in einer reinlichen Abschrift übergeben, und seitdem nicht viel mehr dar-an gedacht hatte, außer daß ich gelegentlich, wie ein Gegenstand solche Betrachtungen in mir erweckte, wieder ein neues Gleichnis schrieb, und zu der Samm-lung legte. Sie gefielen Pichlern, und zwar so sehr, daß er mir den Vorschlag tat, sie der Welt durch den Druck zu übergeben. Vor diesem Gedanken erschrak ich im eigentlichsten Sinn; denn wenn gleich einzelne kleine Gedichte von mir gelegentlich allein oder in Almana-chen erschienen waren ^"), so hatte ich doch nie daran gedacht, als Schriftstellerin mit einem eigenen Werke
aufzutreten. Vielmehr hatte ich solche Öffentlichkeit immer gefürchtet, und warnend trat ein Wort eines un-serer Freunde, eines sehr gelehrten Mannes, vor meine Erinnerung, der, als ich ihn einst befragte, warum er denn der Welt nichts von den gelehrten Schätzen, die er gesammelt, mitteilen wollte, mir mit vieler Heftig-keit sagte: „Mein Fräulein, das werde ich nie tun. Ein Mann, der ein Buch herausgibt, ist wie ein Narr, der die Hand zum Fenster hinausstreckt; jeder Vorüber-gehende kann ihn darauf schlagen."
Jetzt, als mein Mann eine ähnliche Auffordejrung an mich ergehen ließ, fiel mir der gelehrte Abbe Br.^'^) und seine, wie mir schien, sehr treffende Bemerkung ein, und ich vertraute meinem Manne meine Angst. Er mißbilligte sie nicht ganz; aber
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