Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
wurde bald hierauf bei den hiesigen Land-rechten angestellt^'), den jungem, Karl^ss)^ brachte mein Bruder durch die freundschaftlichen Verhältnisse, in welchen unsere Familie seit vielen Jahren mit dem Hause des Barons von Puthon^^^) gestanden hatte, als Kommis in dies Comptoir, und beide junge Männer zeichneten sich fortan als geschickte und in jeder Beziehung würdige Menschen aus. Den altern aber zog sein Hang zur großen Welt bald in die Stadt, der jüngere blieb in unserm Hause, und war uns durch zwanzig Jahre ein treuer Freund und lieber Haus-genosse.
Im Herbst bezog eine sehr würdige Familie, die Witwe eines ungarischen Hofrates, Frau von Wlas-sics mit ihren Söhnen und einer, bereits an einen Cousin, der sich ebenfalls Wlassics nannte, verheirateten Stieftochter, die Wohnung im obern Stocke unsefs Hauses^^°), und ganz in unserer Nähe mietete sich ihre Schwester^'^) ein, die an den( nachmals durch verschie-dene seltsame Schicksale bekannt gewordenen Baron von Geramb verheiratet war. Jetzt bildete sich für uns ein recht angenehmes, geselliges Leben. So wie es Abend wurde, kamen die beiden Frauen, welche bei uns wohnten, mit ihrer Arbeit zu uns herab, etwas später kehrten Herr von Wlassics und mein Mann aus ihren Bureaus nach Hause, und nun lasen uns die Herren, oder vielmehr meistens Pichler, die neuesten Erscheinungen der damaligen Literatur vor, Lafon-taines Romane, eine zu jener Zeit sehr geschätzte Lek-türe, oder wenn etwas noch Höherstrahlendes, aus Schillers oder Goethes Feder geflossen, vor ganz
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Deutschland neu erglänzte. Die Knaben der Witwe, ihre Neffen, die Kinder^^2) eben jenes Barons Geramb und meine kleine Lotte spielten neben uns, und so ver-gingen uns die Abende still und genußreich. Mein Bruder und sein Mündel Karl (denn er war nach der beiden Eltern Tode zum Vormund seiner Schwäger ernannt worden), die selbst sehr gut und gern vor-lasen, ianden aber ihre Rechnung zu wenig beim bloßen. Zuhören, und so brachten diese ihre Abende meist in der Stadt zu.
Recht angenehm wäre uns allen der Winter auf diese Weise verflossen, hätten nicht unglückliche Kriegsereignisse das ganze Land, und somit auch uns, mit Furcht und Angst erfüllt. Die französischen Ar-meen rückten nach den Siegen in Italien und am Rhein immer näher heran, und man sprach, wie vor drei Jah-ren, von der drohenden Gefahr einer Invasion. In unserm stillen Abendkreise teilten wir uns unsere Be-sorgnisse mit, und eine wahrscheinliche Trennung, die unserm zufriedenen Beisammensein ein nahes Ende machen soUte, stellte sich ganz dicht vor unsere Augen; denn Frau von Wlassics dachte sehr ernstlich daran, sich samt ihrer Schwester und ihren beiderseitigen Kin-dern nach Ungarn zu flüchten, was denn auch im Laufe des Winters noch geschah, und seitdem — es sind nun beinahe vierzig Jahre — habe ich diese Hebenswürdige Frau nicht mehr gesehen, und nur wenig und Unbe-friedigendes, ja Schmerzliches von ihr vernommen. Sie hatte ein neues Eheband in Ungarn geschlossen, das unglücklich ausfiel und ihr Leben verbitterte.
Doch ich kehre zu meiner Erzählung zurück. Wäh-rend wir noch alle beisammen, und alle voll Besorg-nisse vor den Dingen, die da kommen konnten, waren,
trat Baron Geramb zum erstenmal aus der Unbekannt-schaft seines bisherigen Privatlebens mit einem Pro-jekte hervor, das Aufsehen genug erregte, um die Blicke der Stadt auf ihn zu lenken. Er v/ollte nämlich ein Freikorps errichten und es dem Kaiser in dieser be-drängten Zeit zur Disposition stellen. Geramb wohnte, wie ich oben gesagt, nicht weit von uns, der Zudrang der Leute in seinem Hause, die Unruhe, welche dieses Werbgeschäft in der Nachbarschaft verbreitete, das Aus- und Einmarschieren der regellosen, meistens zer-lumpten Truppe mit Musik, die durch die ganze Straße schallte, das alles schien mir bei der wenigen Zuver-sicht, die man in einem, auf solche Weise zusammen-gerafften Haufen setzen konnte, das Unheimliche un-serer Lage noch zu vermehren ^^^. Indessen hatte unsere Armee sich anderGrenze von Oberösterreich aufgestellt; die unglückliche Schlacht von Hohenlinden^^*), auf die man die letzte Hoffnung der Rettung gesetzt hatte, ging verloren, der Damm war durchstochen, welcher die verheerenden Kriegsfluten von unserm Vaterlande hätte abhalten sollen, und nun ergossen sich die feind-lichen Scharen unaufgehalten über Salzburg, Passau und Österreich ob der Enns.
Vor ihnen her retirierte unsere Armee und eilte durch die, bald dem
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