Denn rein soll deine Seele sein
die Hand nach ihm aus, bremste sich aber noch rechtzeitig.
»Hey, ich beiße nicht.«
»Eben, das ist es ja! Mit einem unsympathischen Machotyp hätte ich es bedeutend leichter.«
»Gut, daß Sie keine Gedanken lesen können, in meinen geht es in diesem Augenblick ganz schön machohaft zu...«
Sie sagte nichts.
»Habe ich Sie gekränkt?«
»Ich bin kein ahnungsloses Dummchen, Peter, keine unschuldige Seele, die die ganze Welt durch eine rosarote Brille sieht. Und ebensowenig gehöre ich zu diesen prüden, verklemmten Menschen, die glauben, Mann und Frau dürften sich nur angezogen und im Dunkeln lieben. Ich bin religiös, und mir ist klar, daß dieser Begriff für die meisten Leute, besonders hier in Kalifornien, ein Fremdwort geworden ist. Bestimmte Dinge tue ich nicht, obwohl ich sie vielleicht gern täte, weil ich eine religiöse Wertvorstellung habe.
Sex zwischen zwei Partnern, die nicht miteinander verheiratet sind, ist in meinen Augen Unrecht. Nicht wegen der Moral - obgleich sich auch dafür einiges sagen ließe -, sondern weil es schamlos ist. Tsnios - die körperliche Scham - ist uns wichtig. Das erklärt unsere Kleidung, und deshalb bedecken bei uns die verheirateten Frauen ihr Haar. Nicht, um sich mit Gewalt häßlich zu machen - wir ziehen uns ebensogern hübsch an wie andere Frauen -, sondern weil nach unserem Glauben der Körper Privatsache ist und kein öffentliches Kunstwerk. Wir wissen, daß unsere Einstellung als vorsintflutlich gilt. Aber für mich hat sie einen Sinn.«
Decker war überrascht von ihrer Eindringlichkeit. »Na ja, ein bißchen altmodisch ist es schon...«
»Wissen Sie, wofür die Mikwe bei uns steht, Peter?« Rina hatte sich in Schwung geredet. »Für die geistliche Reinigung, für eine Erneuerung der Seele. Zwölf Tage lang nach Einsetzen der Monatsregel bei der Frau dürfen Ehepaare nicht miteinander verkehren. Erst nach der Reinigung durch das rituelle Tauchbad kann die eheliche Beziehung wiederaufgenommen werden. Das kommt Ihnen bestimmt verrückt vor.«
»Ehrlich gesagt, ja.«
»Dabei ist es für mich etwas so Normales...«
»Normalität sieht wohl jeder Mensch anders. Aber so streng halten das doch nicht alle Juden, oder? Meine Frau hat das nie gemacht.«
»Alle Thorajuden halten sich daran. Verstehen Sie jetzt, warum wir nicht miteinander ausgehen können?«
Sie schob ein paar dunkle Strähnen unter die Strickmütze zurück.
»Wenn man es recht überlegt, Peter, leben wir doch in einer verkehrten Welt. Sie sind ein intelligenter Mann, ein guter Mensch. Es fällt Ihnen nicht schwer zu akzeptieren, daß es Männer gibt, die sich an einer Frau vergehen, weil sie ihre Triebe nicht unter Kontrolle haben. Daß auf der anderen Seite Männer ihr körperliches Begehren steuern können, um den Geboten der taharat hamishpacha - der Reinheit der Familie - zu folgen, damit haben Sie Schwierigkeiten. Solche Leute sind das genaue Gegenteil von einem Triebtäter - und doch betrachtet man sie im allgemeinen als Sonderlinge.«
»Das sind zwei Extreme«, wandte Decker ein. »Aber dazwischen gibt es auch noch den Durchschnittsmann wie mich, und der dürfte sich mit Ihren Sitten und Gebräuchen schwertun.«
»Deshalb bleiben wir ja auch unter uns.«
Darauf ließ sich nichts sagen. Schweigend zündete er sich eine Zigarette an. Er begehrte sie immer noch. Die Diskussion hatte ein blaues Feuer in ihren Augen entfacht, das sie noch reizvoller machte. Sie hatte ihre Sache voller Leidenschaft vertreten, sie würde auch im Bett leidenschaftlich sein. Aber da war nichts zu machen.
»Ich mag Sie«, sagte er offen. »Ich finde Sie sehr attraktiv und rede gern mit Ihnen. Aber mir ist schon klar, daß eine Beziehung zwischen uns problematisch werden könnte.«
Sie lächelte. »Ich bin froh, daß Sie das erkennen. Hoffentlich darf ich Sie trotzdem anrufen, wenn ich etwas Verdächtiges höre...«
»Natürlich. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.«
Er stand auf und sah den beiden Jungen beim Spielen zu. Der Anblick erinnerte ihn an seine Kindheit, als er mit seinen Freunden Räuber und Gendarm gespielt hatte. Seine Freunde waren dem Spiel inzwischen entwachsen.
Er dachte an seine Tochter. Sechzehn war sie jetzt. Ein vernünftiges Mädchen. Jean und er hatten nie Schwierigkeiten mit ihr gehabt, nicht einmal in der schlimmen Zeit vor der Scheidung. Er hatte es nie bedauert, keinen Sohn zu haben. Als er jetzt, mit fast vierzig Jahren, zu Rinas Kindern hinüberblickte, war er seiner
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