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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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morgen, vielleicht aber auch nicht.
    Die Woodrow-Wilson-Brücke war lange Jahre der schlimmste Engpass im gesamten Interstate-Highway-System der Vereinigten Staaten gewesen. Die meisten Anwohner gerieten in Rage, wenn man den Namen des 28. Präsidenten der USA erwähnte. Welch eine Hinterlassenschaft, dachte Web, für ein selbstloses Leben im Dienst der Öffentlichkeit. Da liest man seinen Namen schon lieber an einem Rastplatz. Zumindest würden die Leute einen dann in Verbindung mit dem starken
    Verlangen nach körperlicher Erleichterung bringen.
    Er rollte auf die alternde Brücke und sah auf seine Uhr. Dreißig Sekunden vor elf. Der Potomac war ruhig heute Abend, scheinbar ohne Schiffsverkehr. Die dichte Baumlinie auf der Seite von Maryland stand in scharfem Kontrast zu den grellen Lichtern der Altstadt von Alexandria auf der Seite von Virginia und dem Kapitol und den nationalen Gedenkstätten im Norden.
    Web überquerte den Mittelpunkt der Brücke. Der Verkehr war relativ gering und floss ruhig. Ein Wagen der Polizei von Virginia fuhr in entgegengesetzter Richtung an Web vorbei. Web hätte ihm am liebsten hinterhergerufen: He, wollen Sie heute Abend mein Freund sein? Ich habe eine Verabredung mit Darth Vader.
    Web verließ die Brücke und fuhr weiter. Er sah sich um. Nichts. So viel zum Thema genaues Timing. Dann kam ihm ein beängstigender Gedanke. Hatte man ihn genarrt, um ihn umzulegen? Lag da irgendwo ein Scharfschütze, der mit seinem Fernrohr bereits auf ihn zielte? Nahm der Kerl gerade die letzten Einstellungen der Zielautomatik vor, legte den Finger an den Abzug und atmete noch ein letztes Mal durch, bevor er feuerte? War Web London der Welt größter Idiot?
    »Nehmen Sie die nächste rechts. SOFORT! SOFORT!«
    Die Stimme schien von überall und nirgends zu kommen und erschreckte Web so sehr, dass er den Mercury fast um 180 Grad herumgerissen hätte.
    »Scheiße!«, rief Web, als sein Wagen über drei Fahrbahnen schoss, Hupen ihn andröhnten und ringsum Reifen kreischten. Er schnitt die Kurve so eng, dass der Wagen die Leitplanke streifte.
    Web war jetzt auf der Zufahrt zur Interstate 295.
    »Fahren Sie nach D.C.«, sagte die Stimme in ruhigerer Tonlage.
    »Verdammt, sagen Sie mir demnächst etwas eher Bescheid«, feuerte Web zurück und fragte sich dann, ob der Mann ihn überhaupt hören konnte. Und er fragte sich, wie er es geschafft haben mochte, ein Kommunikationsgerät in seinem Auto zu platzieren, ohne dass ihn jemand dabei gesehen hatte. Web lenkte den Wagen nach Norden in Richtung D.C. Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen. In diesem Augenblick wünschte er sich, nie wieder eine Stimme ohne das dazugehörige Gesicht hören zu müssen.
    »Fahren Sie weiter«, sagte die Stimme. »Ich sage Ihnen, wann Sie abbiegen müssen.«
    Tja, so viel zu diesem Wunsch. Es war nicht die Quietschstimme. Vielleicht war es Big F. Es klang zumindest nach einer Stimme, die zu Big F gehören könnte: tief, stumpf, bedrohlich.
    Web kannte die Gegend, in die er jetzt fuhr, sehr gut. Der Nachteil dieses einsamen, von Brettern eingerahmten Stücks Highway war der, dass man bei einer Panne nicht davon ausgehen konnte, seinen Wagen später noch an Ort und Stelle wiederzufinden. Die Jungs, die hier jagten, waren professioneller als jeder Abschleppdienst. Auf diesem Weg lag auch St. Elizabeth's, die Nervenheilanstalt für verrückte Berühmtheiten und Leute, die versuchten, über den Zaun des Weißen Hauses zu klettern.
    »Nehmen Sie die nächste Abfahrt«, sagte die Stimme. »Biegen Sie an der Ampel links ab, fahren Sie dann eins Komma eins Meilen und biegen rechts ab.«
    »Soll ich mir das aufschreiben, oder können Sie mir ein Fax schicken?«, fragte Web, eigentlich nur, weil ihm gerade danach war.
    »Halten Sie die Klappe, verdammt noch mal!«
    Nun, zumindest konnte man ihn hören. Und man konnte ihn sehen. Er sah in den Rückspiegel, aber es gab mehrere Lichter hinter ihm. Und dennoch, wenn Web eins nicht leiden konnte, dann einen Kriminellen ohne Sinn für Humor. Er nahm sich vor, es diesem Typen irgendwann heimzuzahlen.
    Er folgte den Anweisungen und war kurz darauf inmitten der Todeszonen von Northeast und Southeast D.C., Stadtteile, die an den Anacostia River grenzten und in denen in den letzten sieben Jahre über eintausend Menschen ermordet worden waren. Zum Vergleich hatte der scheinbar mehrere Universen entfernte, schwerreiche Nordwestquadrant in der gleichen Zeitspanne gerade einmal etwas über zwanzig Morde

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