Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
anderes Gefühl drängte nach außen und erfüllte ihre Züge mit einer offenkundigen Sehnsucht. Der Graf von Nad Mullach spürte einen tiefen, hilflosen Kummer. »Ach, Eolair«, sagte sie, jetzt bittend, »verstehtIhr denn nicht? Wir können Sicherheit finden! Kommt, helft mir! Ich weiß, dass ich in Euren Augen eine Närrin bin, ein unansehnliches Pferd von einer Frau, aber Ihr liebtet meinen Vater. Bitte helft mir, die Tür zu öffnen.«
Eolair konnte ihren Blick nicht ertragen. Er wandte sich ab und betrachtete die große Tür. In seine Augen stiegen Tränen. Unseliges Mädchen! Was hatte ihr so viel Qual zugefügt? Der Tod von Vater und Bruder? Der Verlust eines Königreichs? Entsetzliche Schicksalsschläge, gewiss – aber andere, die Ähnliches erlitten hatten, verfielen trotzdem nicht in derart erbarmungswürdige Wahnvorstellungen. Natürlich, die Sithi hatte es einmal gegeben. Sie waren so wirklich gewesen wie Regen und Stein. Aber es waren fünf lange Jahrhunderte vergangen, seit auch nur ein Gerücht über das Schöne Volk den Weg nach Hernystir gefunden hatte. Und der Gedanke, dass es die Götter waren, die Maegwin zu diesen lange verschollenen Sithi führten … selbst Eolair, der große Achtung vor dem Unerklärlichen hatte, musste sich eingestehen, dass es der Wahnsinn ihres Verlustes war, der aus Maegwin sprach.
Er wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Der steinerne Türrahmen war bedeckt mit seltsamen, verwickelten Symbolen und bis ins Kleinste ausgearbeiteten, eingemeißelten Darstellungen von Gesichtern und Figuren, die meisten vom tropfenden Wasser abgetragen. Tatsächlich handelte es sich um Kunstwerke von erlesener Feinheit, der ehrgeizigsten Arbeit der Bergleute von Hernystir augenscheinlich weit überlegen. Was konnte dieser Ort gewesen sein? Ein uralter Tempel aus frühester Zeit? Hatten hier seltsame Rituale zu Ehren des Schwarzen Cuamh stattgefunden, fern von den schlichten Schreinen anderer Gottheiten, die sich über der Erde verstreut an vielen Stellen fanden?
Eolair holte tief Luft und fragte sich, ob er jetzt eine unvernünftige Entscheidung traf. »Ich möchte nicht mehr hören, wie Ihr Euch auf unwahre Weise selbst schmäht, Prinzessin, und ich möchte Euch auch nicht mit Gewalt zurückbringen. Wenn ich Euch helfe, die Tür zu öffnen«, sagte er langsam und wagte nicht nach dem schmerzhaften Ausdruck von Hoffnung in ihrem Gesicht zu schauen, »werdet Ihr dann mit mir umkehren?«
»O ja! Was immer Ihr wünscht!« Sie war fröhlich wie ein Kind. »Ich will Euch die Entscheidung überlassen, denn ich weiß, wenn Ihr nur erst das Land gesehen habt, in dem die Sithi jetzt leben, werdet auch Ihr nicht in irgendeine rußige Höhle zurückeilen wollen. Ja!«
»Also gut. Ich habe Euer Wort, Maegwin.« Er stand auf und packte den Türgriff, an dem er heftig zog. Die Tür rührte sich nicht.
»Eolair«, bemerkte Maegwin ruhig.
Wieder zog er, diesmal kräftiger, bis die Sehnen an seinem Hals hervortraten, aber die Tür bewegte sich nicht.
»Graf Eolair«, sagte Maegwin.
Ein weiteres Mal zerrte er vergeblich an der Tür und drehte sich dann um. »Ja?«
Mit einem Finger, an dem der Nagel abgebrochen war, deutete sie auf die Tür. »Ich habe den Riegel zwar aufgestemmt, aber die Stücke sind noch nicht entfernt. Sollten wir sie nicht zuerst herausholen?«
»Das würde keinen Unterschied machen …«, begann er und sah dann genauer hin. Ein Teil des gesprengten Riegels war in den Türspalt gefallen und blockierte das Öffnen der Tür. Eolair zischte vor sich hin und stieß die Stücke heraus. Klirrend fielen sie auf den feuchten Stein.
Als Eolair jetzt zog, fingen die Angeln unwillig zu knirschen an. Maegwin kam zu ihm, packte den zweiten Türgriff und unterstützte ihn mit ihrer Kraft. Die Angeln knarrten lauter. Während er sich weiter dagegenstemmte, musterte er Maegwins Unterarme. Sie war stark, diese junge Frau – aber sie hatte auch nie zu den Schwächlichen und Schüchternen gehört. Außer in seiner Gegenwart, wo ihm oft aufgefallen war, dass ihre scharfe Zunge plötzlich stumpf wurde.
Eolair spannte seine Kräfte an und holte tief Luft. Er konnte nicht umhin, Maegwins Geruch wahrzunehmen. Verschwitzt und mit Staub bedeckt duftete die Prinzessin nicht gerade wie eine parfümierte Dame am Hof von Nabban, aber es war etwas Warmes und Lebendiges an ihr, etwas Natürliches, das er ganz und gar nicht unangenehm fand. Eolair schüttelte den Kopf über solche Gedanken und
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