Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
verdoppelte seine Anstrengungen. Er sah auf Maegwins entschlossenes Gesicht, als das Geräusch der Angeln zu einem lautenKreischen anstieg. Knarrend begann die Tür sich zu öffnen – erst einen Zoll, dann ein paar Zoll mehr, schließlich einen Fuß, immer unter heftigem Protest. Als eine Elle schwarze Finsternis vor ihnen gähnte, hielten sie inne, lehnten sich gegen die dicken Bohlen und rangen keuchend nach Atem.
Maegwin bückte sich und nahm eine Lampe. Dann, während Eolair noch ächzte, schlüpfte sie durch die Öffnung.
»Prinzessin!«, rief er ihr atemlos nach und zwängte sich hinterher. »Wartet! Vielleicht ist die Luft schlecht!« Noch während er es sagte, merkte er, dass die Luft gut, wenn auch ein wenig abgestanden war. »Nur …«, begann er und blieb jäh an Maegwins Schulter stehen. Die Lampe in ihrer Hand warf Licht nach allen Seiten.
»Ich habe es Euch gesagt!« Ihre Stimme war ehrfürchtig und verriet eine tiefe Befriedigung. »Hier wohnen unsere Freunde.«
»Brynioch von den Himmeln!«, murmelte Eolair betäubt.
Vor ihnen erstreckte sich eine gewaltige Stadt, die den Grund einer breiten Schlucht bedeckte. Von ihrem Standort am Rand der Schlucht schien die ungeheure Fülle der Gebäude unmittelbar aus dem Herzen des Berges herausgemeißelt zu sein, so als bestehe die ganze Stadt aus einem einzigen, unermesslich riesigen, lebendigen Fels. Jedes Fenster, jede Tür war in diesen massiven Stein geschnitten, jeder Turm aus natürlichen Steinsäulen ausgehöhlt, Säulen, die bis an die weit über ihren Köpfen aufragende Höhlendecke hinaufreichten. Aber bei all ihrer Größe wirkte die Stadt überraschend nah, als sei sie in Wirklichkeit nur eine Miniatur, aufgebaut, um das Auge zu täuschen. Von dort, wo sie hinabschauten, auf den obersten Stufen einer breiten Treppe, die in zahlreichen Windungen in die Schlucht hinunterführte, sah es fast aus, als könne man mit der Hand nach den Dächern greifen und sie berühren.
»Die Stadt der Friedlichen«, sagte Maegwin glücklich.
Wenn das eine Sithistadt war, dachte Eolair, mussten ihre unsterblichen Bewohner irgendwann einmal beschlossen haben, den Rest ihrer Jahre lieber auf der sonnigen Oberfläche der Erde zu beschließen, denn dieses Wunderwerk aus zierlich behauenem Stein war leer oder machte zumindest diesen Eindruck. Von der Entdeckung eines so unheimlichen Ortes zutiefst erschüttert, ertapptesich der Graf dabei, dass er inbrünstig hoffte, die Stadt sei wirklich so verlassen, wie sie aussah.
Die kleine Zelle war kalt. Herzog Isgrimnur schnaubte unglücklich und rieb sich die Hände.
Die Mutter Kirche sollte lieber ein paar von ihren verdammten Opferstöcken leeren und damit ihren Prachtbau heizen, dachte er. Wandteppiche und goldene Leuchter – alles schön und gut –, aber wie kann man das ganze Zeug bewundern, wenn man dabei erfriert?
Gestern Abend war er lange im Aufenthaltsraum geblieben, hatte am großen Kamin gesessen und den Erzählungen anderer Wandermönche gelauscht, von denen die meisten in die Sancellanische Ädonitis gekommen waren, um Geschäfte mit der lektoralen Verwaltung abzuwickeln. Wenn man ihm freundliche Fragen stellte, antwortete er knapp und nicht auf alles, denn er wusste, dass die Gefahr, durchschaut zu werden, hier unter – nun ja – seinesgleichen am größten war.
Jetzt saß er hier, hörte der Claves-Glocke zu, die zum Morgengebet läutete, und hatte die größte Lust, wieder in den Aufenthaltsraum zurückzugehen. Das Risiko, entdeckt zu werden, war erheblich, aber wie sollte er sonst auf die Informationen stoßen, die er so dringend benötigte?
Wenn dieser verfluchte Graf Streáwe mir nur die Wahrheit gesagt hat. Warum hat er mich den ganzen Weg hinüber nach Ansis Pelippé kommen lassen, nur um mir zu sagen, dass Miriamel in der Sancellanischen Ädonitis steckt? Und warum hat er das ausgerechnet mir erzählt, einem Mann, von dem er nur weiß, dass er sich überall nach zwei Mönchen erkundigt, einem alten und einem jungen?
Vorübergehend erwog Isgrimnur die Möglichkeit, Streáwe könnte gewusst haben, wer er war, oder, noch schlimmer, der Graf hätte ihn absichtlich in die Irre geführt, und Miriamel hielte sich an einem ganz anderen Ort als im Palast des Lektors auf. Doch wenn das so war, wieso hatte dann der Herrscher von Perdruin sich höchstselbst mit ihm unterhalten? Sie hatten zusammengesessen, der Graf und der als Mönch verkleidete Isgrimnur, und im Privatgemach des Grafenseinen Wein
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