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Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Titel: Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Garderobenschrank an der Tür, zog einen Schuhkarton von einem der hohen Regale und trug ihn zum Küchentisch. Darin lag mein alter Smith & Wesson .357 Magnum Revolver, in ein Baumwolltuch gehüllt. Ich untersuchte ihn. Während der letzten drei Jahrzehnte hatte ich die Waffe mehrmals im Jahr auseinandergenommen und gesäubert. Anschließend hatte ich jedes Teil einzeln geölt. Sie war in perfektem Zustand.
    Wie Eisenhower zu mir sagte: »Wenn Sie sonst nichts mehr haben, an dem Sie sich festhalten können, halten Sie sich an Ihrer Waffe fest.«
    Ich hob sie mit ausgestrecktem Arm und visierte ein Ziel an. Unter ihrem Gewicht zitterte mein Arm ein wenig. Es bestand kein Grund zu der Annahme, dass der Revolver an Gewicht zugelegt hatte, und daher musste ich wohl einräumen, dass mein Arm schwächer geworden war, seit ich die Waffe das letzte Mal auf jemanden gerichtet hatte. Das war die schlechte Nachricht. Die gute war, dass meine Sehkraft sich erheblich verschlechtert hatte, seit ich das letzte Mal jemanden erschießen musste.

15
    Die Armani-Businessfritzen aus dem Zentrum von Memphis, die in der Anwaltskanzlei Baker Donnelson arbeiteten oder in der Morgan Keegan Bank, mochten einander vielleicht in der Diamond Lounge im Harrah’s zuprosten, aber im Silver Gulch ließen sie sich nicht blicken. Jemand wie Lawrence Kind würde so einen Ort ebenfalls gemieden haben, wenn nicht überall sonst sein Kredit ausgereizt gewesen wäre. Für eine bestimmte Klientel war das Silver Gulch der beste Ort in ganz Mississippi, um die Sozialhilfe direkt in einen einarmigen Banditen zu versenken.
    Bequem, nur eine Autostunde von Memphis entfernt, war das Gulch nicht nur Anlaufstelle für bäurische Dumpfbacken, die schnell ein zerknittertes Flanellhemd über ihr fleckiges Unterhemd warfen, wenn feine Garderobe verlangt wurde, sondern auch für gefährlich dreinblickende Schwarze aus Orange Mound, die zeltgroße Basketballtrikots und Baggy-Hosen trugen und stets fette, mit Gummibändern zusammengehaltene Geldscheinrollen in den Händen hielten.
    Als wir eintraten, stieß Tequila mich an und zeigte auf einen weißen Wal, der mindestens zweihundertfünfzig Kilo wog, auf zwei Hockern saß und gleichzeitig an drei Automaten spielte. Er trug ein ärmelloses T-Shirt, das geräumig genug war, einen Kleinwagen zu verstecken. Seine nackten Oberarme hatten jeweils den Umfang einer Frauentaille.
    »Lass ihn«, sagte ich. »Der versucht nur, sich am Buffet auf lau die Wampe vollzuschlagen. Wie alle anderen auch.«
    Unerschöpfliche Berge matschiger Brathähnchen, völlig verbratenerSchweinerippchen und verkrusteter Käsemakkaroni – so manchen Menschen kam Tunica garantiert vor wie das Schlaraffenland.
    Wir gingen an den Automaten und Spielern vorbei, die mit entrücktem Blick immer wieder schweißverschmierte Hebel nach unten rissen. Schließlich fragten wir den pockennarbigen Aufseher am Spielertisch, ob Pratt in der Nähe sei. Der Bursche flüsterte kurz in sein Sprechfunkgerät und führte uns dann durch eine Tür, die er mit einem Kartenschlüssel öffnete, und einen gelb gestrichenen Korridor mit Zementfußboden zum schmuddeligen Büro des DIRECTOR OF COLLECTIONS.
    Pratt stand auf, als wir eintraten.
    »Howdy«, sagte er. »Ich nehme an, Sie haben nichts dagegen, wenn ich Sie Buck nenne?«
    Ich musterte ihn. Tiefliegende Schweinchenaugen. Fettiges Haar. Braune Zähne, die sich gegenseitig den Platz streitig machten. Ich hätte auf Methamphetamin getippt, wären da nicht die ungefähr zwanzig Kilo Übergewicht gewesen. Mir kam er vor wie ein abgeschmackter Amateurerpresser aus der untersten Schublade. Mit dem Eisen an den Rippen fühlte ich mich, als wäre ich wieder ganz der Alte. Wie es seit Jahren nicht mehr gewesen war. Wenn ich gleich den richtigen Ton anschlug, würde ich den Mistkerl schnell kleinkriegen.
    »Setz dich auf deinen Arsch«, blaffte ich ihn an. Und das tat er.
    Ich beugte mich über seinen Schreibtisch, kniff die Augen zusammen und schürzte die Lippen, um ihm meine Zähne zu zeigen, die zwar ihre Nikotinflecken hatten, aber trotzdem weitaus besser aussahen als seine.
    »Vor fünfunddreißig Jahren hätte ich Ihnen eine Kugel in den Kopf gejagt und behauptet, Sie hätten drum gebettelt. Und niemand hätte auch nur eine Silbe drüber verloren«, teilte ich ihm mit.
    Pratt zuckte mit keiner Wimper. »Das hier spielt sich abernicht vor fünfunddreißig Jahren ab, Partner«, sagte er. »Ihre Freunde sind längst ins Grab

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