Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
sagen hat. Vielleicht sollten wir hingehen.«
Es würde mir zumindest die Chance geben zu beurteilen, ob er tatsächlich ein authentisches Sprachrohr der israelischen Regierung war.
»Ich nehme deine Großmutter mit«, sagte ich zu ihm. »Du bleibst zu Hause. Ich möchte nicht, dass du mich vor den Leuten blamierst.«
40
Tequila fuhr uns zum Jewish Community Center, und obwohl er protestierte, lud ich ihn nicht ein, sich die Rede anzuhören. Ich wollte, dass er zu Hause den Schatz bewachte, und überdies hatte er Rose mit seinem Gerede bereits genügend aufgeregt. Ich machte mir seinetwegen langsam Sorgen. Es sah nämlich so aus, als stünden große Schwierigkeiten bevor, die wir nicht mir nichts, dir nichts würden lösen können, und er war alles andere als ein besonnener junger Mann mit kühlem Verstand. Mein Detective-Instinkt hatte mir bereits den ganzen Tag über etwas zugeflüstert, aber ich konnte einfach nicht verstehen, was er sagen wollte. Ich hatte das bestimmte Gefühl, dass sich etwas ganz Übles zusammenbraute, ich brachte aber nicht zusammen, was es sein könnte und woher es kommen würde.
Ich brauchte die Hilfe meines Enkels, um überhaupt eine Chance zu haben, mit dieser Sache voranzukommen, aber ich konnte seinem Urteil nicht mehr vertrauen. Selbst wenn er nicht gerade schluchzte oder vor Wut schäumte, blieben mir die Gefühlswallungen nicht verborgen, die aufgestaut hinter seinen Worten lauerten. Die nüchterne und lupenreine Logik, mit der er die Aufnahmeprüfung für das Jurastudium bestanden und den Bankmanager in St. Louis ausgestochen hatte, wäre in unserer Situation von Nutzen gewesen, aber sein Hirn war offenbar vernebelt. Und ich hatte Angst, ihn noch weiteren Gefahren auszusetzen. Der verflixte Bengel war alles, was mir von meinem Sohn geblieben war.
Derweilen hoffte ich, Steinblatt würde sich als Mittler zur Diaspora so überzeugend erweisen, dass ich ihn von der Listemeiner Verdächtigen streichen konnte. Ich verspürte nämlich keine Lust, irgendwann morgens aufzuwachen und als Erstes seine Pranken über mir zu sehen.
Das Center war voll. Die meisten älteren jüdischen Menschen mussten feststellen, dass Memphis an einem gewöhnlichen Samstagabend nur wenig zu bieten hatte, und waren gekommen, sich Steinblatts Vortrag anzuhören und in den Genuss der kostenlosen Erfrischungen und des Backwerks zu kommen, die das Center bei solchen Ereignissen zu reichen pflegte. Beträchtlich viele Leute, die wir kannten, hatten sich in der Lobby versammelt, und palaverten.
Rose hatte darauf bestanden, den Rollstuhl zu Hause zu lassen, obwohl sie Schmerzen beim Aufstehen und Hinsetzen verspürte. Beim Gehen stützte sie sich auf ein Metallgestell mit vier Hartgummifüßen.
»Alle begaffen mich wegen diesem Krüppelgestell«, sagte sie. »Glaub mir, Fred Astaire würde sich mit so einem Ding nicht sehen lassen.«
Ich schmunzelte. »Wenn es dich tröstet, ich fühl mich im Moment ganz wie Ginger Rogers.«
»Ach, sei bloß still, Buck.«
Aber die Leute glotzten wirklich. Da hatte sie Recht. Gesundheitsprobleme erregten höchste Aufmerksamkeit bei unseren Altersgenossen, da die sozialen Kontakte der meisten sich darin erschöpften, einander auf dem letzten Weg die Ehre zu erweisen.
Esther Katz bemerkte uns von der anderen Seite der Lobby und watschelte herüber, um uns zu begrüßen. Sie hatte mit Rose Rommee gespielt, war aber zunehmend verwirrter gewesen und schließlich eingeliefert worden.
»Ich hab gehört, dass du im Krankenhaus warst.« Dass Esther davon gehört hatte, war keine Überraschung. Dass sie sich daran erinnerte, war hingegen mehr als erstaunlich.
Rose nickte.
»Ist es was Ernstes?« Esthers Gesicht spiegelte Neugier und Besorgnis.
»Was geht dich das an?«, fragte ich.
»Ich wollte ja nur wissen, ob ich meine Tochter bitten soll, einen Matzeknödel vorzubereiten.«
Roses Miene verdüsterte sich. »Was hat meine Gesundheit damit zu tun?«
Esther wollte etwas sagen und merkte, was sie auszusprechen im Begriff war. Juden bringen Speisen mit, wenn sie Kondolenzbesuche bei trauernden Familien machen. Sie fragte also, ob Rose demnächst sterben würde.
Plötzlich mit der Pietätlosigkeit einer solchen Frage konfrontiert, war Esther sprachlos und stand mit herabhängender Kinnlade da. Ich fand, sie sah aus wie ein Pinguinküken, das darauf wartete, dass ihm seine Mutter eine Portion Fischgedärme in den Schnabel steckte. Aber dann dachte ich, es wäre wahrscheinlich
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