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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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diese Frage diskutiert. Sie haben gesagt, die Juden hätten die Araber nicht aus Palästina vertreiben müssen, weil die Araber es aus eigenem Antrieb verlassen hätten.«
    Jusef schüttelte lachend den Kopf. »Ich fürchte, du bist auf den großen zionistischen Schwindel reingefallen, Dominique. Auf den Schwindel, daß die Palästinenser das Land, das seit Jahrhunderten ihre Heimat war, freiwillig gegen Exil und Flüchtlingslager eingetauscht hätten. Auf den Schwindel, daß die arabischen Regierungen die Palästinenser aufgefordert hätten, ihr Land zu verlassen.«
    »Das ist also nicht wahr?«
    »Klingt es so, als könnte es wahr sein?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Dann vertraue auf deinen Instinkt, Dominique. Klingt es nicht plausibel, ist es vermutlich nicht glaubwürdig. Willst du die Wahrheit darüber hören, was die Juden meinem Volk  angetan haben? Willst du erfahren, warum meine Familie in einem Flüchtlingslager in Beirut gelandet ist?«
    »Ich will mehr von dir erfahren.«
    »Ich bin Palästinenser. Es ist unmöglich, mich von der Geschichte meines Volkes zu trennen.«
    »Erzähl's mir«, forderte sie ihn auf.
    »Übrigens, in welchem Pariser Nachtclub?«
    »Was?«
    »Ich meine den Nachtclub, in dem du die Israelis kennengelernt hast. Welcher war das?«
    »Weiß ich nicht mehr. Das ist zu lange her.«
    »Versuch bitte, dich daran zu erinnern. Es ist wichtig.«
    »Wir nennen es al-Nakba - die Katastrophe.«
    Er hatte eine weite baumwollene Schlafanzughose und ein Sweatshirt der London University angezogen, als mache seine Nacktheit ihn plötzlich verlegen. Jacqueline gab er ein blaues Oberhemd. Das geschah wortlos, aber die Bedeutung war klar: über etwas so Heiliges wie al-Nakba durfte man nicht in einem Zustand postkoitaler Nacktheit sprechen. Jacqueline saß in der Bettmitte und hatte ihre langen Beine untergeschlagen, während Jusef vor ihr auf und ab ging.
    »Als die Vereinten Nationen den Plan vorlegten, Palästina in zwei Staaten aufzuteilen, erkannten die Juden, daß sie vor einem schwierigen Problem standen. Die Zionisten waren nach Palästina gekommen, um einen jüdischen Staat aufzubauen, aber fast die Hälfte der Bevölkerung ihres neuen Teilstaats wären Araber gewesen. Die Juden akzeptierten trotzdem den Teilungsplan, weil sie genau wußten, daß er für die Araber unannehmbar sein würde. Und warum hätten die Araber ihn akzeptieren sollen? Die Juden besaßen sieben Prozent der Fläche Palästinas, aber nun sollten sie fünfzig Prozent  bekommen - vor allem das fruchtbare Land in der Küstenebene und in Obergaliläa. Hörst du mir zu, Dominique?«
    »Natürlich höre ich dir zu.«
    »Die Juden arbeiteten einen Plan für die Ausweisung der Araber aus den für den jüdischen Staat vorgesehenen Gebieten aus. Sie hatten sogar einen Namen dafür: Plan Dalet. Und sie setzten ihn in dem Augenblick in die Tat um, als die Araber angriffen. Ihr Plan war, die Araber auszuweisen, sie zu vertreiben, wie Ben-Gurion es ausdrückte. Das jüdische Palästina von Arabern zu säubern. Ja, säubern. Ich benutze dieses Wort nicht leichtfertig, Dominique. Es ist nicht mein Ausdruck. Mit genau diesem Wort haben die Zionisten ihren Plan beschrieben, mein Volk aus Palästina zu vertreiben.«
    »Das klingt so, als hätten sie sich wie die Serben aufgeführt.«
    »Das haben sie getan. Hast du jemals von einem Ort namens Deir Jassin gehört?«
    »Nein«, sagte sie.
    »Die Zionisten haben deine Sicht des Nahostkonflikts  geprägt, deshalb bin ich nicht sonderlich überrascht, daß du nie von Deir Jassin gehört hast.«
    »Erzähl mir von Deir Jassin.«
    »Das war ein arabisches Dorf außerhalb von Jerusalem an der Straße zur Küste und nach Tel Aviv. Heute existiert es nicht mehr. Wo früher Deir Jassin gelegen hat, liegt jetzt eine jüdische Kleinstadt. Sie heißt Kfar Scha'ul.«
    Jusef schloß kurz die Augen, als sei der nächste Teil zu schmerzlich, um darüber zu sprechen. Als er weitersprach, verfiel er in den ausdruckslosen Tonfall eines Hinterbliebenen, der die letzten prosaischen Ereignisse aus dem Leben eines lieben Verstorbenen schildert.
    »Die Dorfältesten hatten eine Vereinbarung mit den Zionisten geschlossen, deshalb glaubten die vierhundert Araber, die in Deir Jassin lebten, ungefährdet zu sein. Die Zionisten hatten ihnen versprochen, das Dorf nicht anzugreifen. Aber um vier Uhr an einem Aprilmorgen wurde Deir Jassin von Männern der Irgun und der Stern-Bande überfallen. Bis Mittag waren zwei Drittel

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