Der Azteke
bereits wieder aufgebaut worden waren. Eigentlich muß man sagen, daß die Stadt dadurch sogar gewonnen hatte. Jetzt standen anständige, feste Häuser in einem Viertel, das zuvor nur aus halbverfallenen Hütten bestanden hatte – darunter diejenige, welche einen solchen Wendepunkt für mein Leben bedeutet hatte. Nachdem wir durch die Stadt in die westlichen Randgebiete gelangt waren, stellten wir jedoch fest, daß die sengenden und plündernden Krieger ihre Verwüstungen nicht bis dorthin getragen hatten. Die vertraute Herberge stand immer noch. Ich ließ meine Männer im Hof stehen, trat ein und rief lärmend:
»Herbergswirt, habt Ihr Raum für einen müden Pochtécatl und seine Trägerkolonne?«
Béu Ribé trat aus einem der hinteren Räume und sah gesund und munter und ebenso schön aus wie eh und je, doch begrüßte sie mich nur mit den Worten:
»Die Mexíca sind heutzutage hier nicht sonderlich gern gesehen.«
Immer noch in dem Versuch, besonders herzlich zu sein, sagte ich: »Aber bei deinem eigenen Bruder Dunkle Wolke wirst du doch wohl eine Ausnahme machen, Wartender Mond. Deine Schwester hat mich ganz hierhergeschickt, um festzustellen, ob mit dir auch alles in Ordnung ist. Ich freue mich, daß du offenbar unter den Unruhen nicht zu leiden hattest.«
»Nicht zu leiden hatte!« wiederholte sie sarkastisch. »Ich freue mich, daß du dich freust, denn schließlich bist du dafür verantwortlich, daß die Mexíca-Krieger hierherkamen. Alle Welt weiß, daß sie wegen deines Zusammenstoßes mit dem Zyú hierhergeschickt wurden, und weil es dir nicht gelungen ist, dich des Purpurs zu bemächtigen.«
Das stimmte immerhin, wie ich zugeben mußte. »Aber du kannst mir doch nicht die Schuld dafür geben, daß …«
»Es ist Schuld genug da, daß auch auf mich noch welche fällt«, erklärte sie verbittert. »Mir hat man zuallererst die Schuld daran gegeben, dich jemals in dieser Herberge aufgenommen zu haben.« Dann schien sie plötzlich die Schultern sacken zu lassen. »Aber ich habe die Verachtung der Menschen lange genug zu spüren bekommen, oder? Ja, du kannst einen Raum haben, und wo du deine Träger unterbringen kannst, weißt du ja. Die Diener werden sich um euch kümmern.«
Sie drehte sich um und kehrte zurück zu dem, womit sie beschäftigt gewesen war. Kaum ein überschwengliches, ja, nicht einmal ein schwesterliches Willkommen, dachte ich bei mir. Aber die Diener brachten meine Männer und ihre Sachen unter und bereiteten mir ein Mahl. Als ich gesättigt war und eine Poquietl rauchte, kam Béu durch den Raum. Sie wäre einfach weitergegangen, doch ich packte sie am Handgelenk und sagte:
»Ich mache mir nichts vor, Béu. Ich weiß, daß du mich nicht magst, und wenn das schändliche Treiben der Mexíca letzthin …«
Hochmütig ihre schwingengleichen Brauen in die Höhe schiebend, unterbrach sie mich: »Ich dich nicht mögen? Liebe? Das sind Gefühle. Welches Recht habe ich, irgendwelche Gefühle dir gegenüber zu haben, Mann meiner Schwester?«
»Na schön«, sagte ich ungeduldig. »Verachte mich! Tu so, als ob ich überhaupt nicht vorhanden wäre. Aber willst du mir nicht zumindest irgendeine Nachricht für Zyanya mit auf den Weg geben?«
»Ja. Sag ihr, mir sei von einem Mexíca-Krieger Gewalt angetan worden.«
Wie vom Donner gerührt, ließ ich ihr Handgelenk fahren. Ich wollte etwas sagen, doch sie lachte nur und sagte:
»Nun sag bloß nicht, daß dir das leid täte! Ich meine, ich kann immer noch zu Recht behaupten, eine Jungfrau zu sein, denn er war auf diesem Gebiet ganz besonders untüchtig. Er hat mich durch seinen Versuch, mich zu schänden, in meiner geringen Meinung über die arroganten Mexíca nur bestärkt.«
Ich fand meine Stimme wieder und wollte von ihr wissen: »Sein Name! Wenn er jetzt noch nicht hingerichtet worden ist, werde ich dafür sorgen …«
»Ja, glaubst du etwa, er hätte sich vorgestellt?« sagte sie und lachte abermals. »Ich glaube, es war kein gewöhnlicher Krieger ohne Rang, wenn ich mich in euren Abzeichen auch nicht auskenne und es auch noch dunkel war in meinem Gemach. Immerhin habe ich jedoch das Gewand erkannt, das er mich für diese Gelegenheit anlegen ließ. Er zwang mich, mir das Gesicht mit Ruß zu schwärzen und die schwarzen, stinkenden Gewänder eines Tempeldieners anzulegen.«
»Was?« sagte ich wie vom Donner gerührt.
»Viel gesprochen haben wir nicht miteinander, aber soviel habe ich immerhin begriffen: allein die Tatsache, daß ich noch
Weitere Kostenlose Bücher