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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Pochtéca mit seiner Trägerkolonne Gelegenheit, ein Angebot auf seine Waren insgesamt oder auf einen Teil davon abzugeben, der mir besonders ins Auge stach. Und ehe der Tag vorüber war, gelang es mir für gewöhnlich, mit einem anderen Händler zu feilschen, was für gewöhnlich damit endete, daß ich meine Ware mit Gewinn an ihn verkaufte. Um das zu tun, brauchte ich nicht einmal meinen Becher Schokolade niederzusetzen oder auch nur mit eigenen Augen gesehen zu haben, was ich eigentlich gekauft und wieder verkauft hatte. Manchmal traf ich auch einen jungen und ehrgeizigen Händler in dem Gildehaus, welcher Vorbereitungen traf, zu seiner ersten Reise ins Unbekannte aufzubrechen. Dann hielt ich ihn wohl solange zurück, wie es brauchte, um ihn alle meine Erfahrungen auf dieser ganz besonderen Route zuteil werden zu lassen oder jedenfalls solange er mir zuhörte, ohne unruhig zu werden und dringende Geschäfte vorzuschützen.
    Doch an den meisten Tagen waren nur wenige andere Menschen dort außer mir und etlichen anderen Pochtéca, welche sich von den Geschäften zurückgezogen und keinen anderen Platz hatten, wo sie sich lieber aufgehalten hätten. So setzten wir uns nieder und tauschten lieber Erinnerungen als Waren miteinander aus. Ich lauschte ihren Erzählungen aus Tagen, da sie weniger Jahre gehabt und weniger wohlhabend gewesen waren, dafür jedoch von unermeßlichem Ehrgeiz besessen; jenen Tagen, da sie selbst unterwegs gewesen waren und manches Wagnis und so manche Gefahr auf sich genommen hatten. Selbst wenn wir sie nicht ausgeschmückt hätten, wären unsere Geschichten noch aufregend gewesen – und ich hatte keinen Grund, bei meinen zu übertreiben –, doch da die alten Männer alle versuchten, sich in bezug auf die Einzigartigkeit und Vielfalt ihrer Erlebnisse sowie im Hinblick auf die Gefahren, welche sie bestanden und darauf, wie sie nur mit knapper Not irgendwelchen Mißgeschicken entkommen waren, auszustechen, fiel mir auf, daß manche von den Anwesenden, nachdem sie ihre Abenteuer zehn- oder zwölfmal zum besten gegeben hatten, anfingen, sie auszuschmücken …
    Abends verließ ich mein Haus nicht, um Gesellschaft zu suchen, sondern Einsamkeit in der ich unbeobachtet ganz für mich allein meinen Erinnerungen nachhängen, meiner Sehnsucht und dem Aufbegehren gegen mein Geschick freien Lauf lassen konnte. Selbstverständlich hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn diese Einsamkeit durch ein lang herbeigesehntes Wiedersehen unterbrochen worden wäre. Doch wie ich euch schon gesagt habe, ist das noch nie geschehen. Infolgedessen wanderte ich nur mit sehnsüchtiger Hoffnung, nicht mit irgendwelchen Erwartungen durch die nahezu menschenleeren Straßen von Tenochtítlan, von einem Ende der Insel zum anderen, erinnerte mich daran, was hier geschehen war und was dort.
    Im Norden war die Dammstraße nach Tepeyáca, über welche ich damals meine kleine Tochter getragen hatte, als wir aus der überfluteten Stadt geflohen und auf dem Festland Sicherheit gesucht hatten. Damals hatte Nochipa nur Sätze sprechen können, die aus zwei Wörtern bestanden, doch mit manchen davon hatte sie viel ausgedrückt. Bei dieser besonderen Gelegenheit hatte sie gemurmelt: »Dunkle Nacht«.
    Die südliche Dammstraße führte nach Coyohuácan und die darunterliegenden Gebiete, jene Dammstraße, über welche ich zusammen mit Cozcatl und Blut Schwelger zu meiner ersten Handelsexpedition aufgebrochen war. In der Pracht der Morgendämmerung jenes Tages hatte der mächtige Vulkan Popocatépetl uns nachgesehen, und mir war gewesen, als hätte er gesagt: »Ihr zieht fort, meine Freunde, doch ich bleibe hier …«
    Dazwischen lagen die beiden großen Plätze der Stadt. Auf dem weiten im Süden gelegenen, Dem Herzen Der Einen Welt, stand die große Pyramide, so wuchtig, so fest und unverrückbar, daß der Betrachter meinen könnte, sie habe genauso lange dort gestanden wie der Popocatépetl am fernen Horizont. Selbst mir fiel es schwer zu glauben, daß ich älter war als die fertiggestellte Pyramide und daß sie nur ein unvollendeter Stumpf gewesen war, als ich sie das erstemal gesehen.
    Über den nördlicheren Platz, den riesigen, ausgedehnten Marktplatz von Tlaltelolco, war ich das erstemal an der Hand meines Vaters hinweggegangen. Dort hatte er großzügig einen unerhörten Preis bezahlt, um mich zum erstenmal in meinem Leben wohlschmeckenden Schnee kosten zu lassen, während er dem Verkäufer erzählte: »Ich erinnere mich noch an die

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