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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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gleichgültig, ob Knabe oder Mädchen, so gab sie es her, auf daß vom Erlös der Rest der Familie essen könne. Besaß eine Familie nur kleine Kinder, verkaufte sich der Vater. Aber wie lange konnte eine Familie sich schon von vier- oder fünfhundert Maiskolben ernähren? Und wenn diese verzehrt waren – was oder wer blieb dann noch, es zu verkaufen? Selbst wenn die Guten Zeiten unversehens wiederkommen sollten – wie sollte eine Familie ohne die Arbeit des Vaters überleben? Aber die Guten Zeiten kamen nicht wieder …
    All dies geschah unter der Regierung des Ersten Motecuzóma, der in dem Versuch, die Not seines Volkes zu lindern, sowohl die Schatzkammern des Volkes als auch seine eigenen leerte und hinterher auch noch die Bestände sämtlicher Lagerhäuser und Kornspeicher verteilen ließ. Nachdem alles, was man hatte zurücklegen können, aufgezehrt und überhaupt alles vergangen war bis auf die Harten Zeiten, beriefen Motecuzóma und seine Weibliche Schlange den Staatsrat ein und luden sogar noch sämtliche Seher und Wahrsager hinzu, ob sie einen Rat wüßten. Ich kann es zwar nicht beschwören, aber die Ratssitzung soll folgendermaßen verlaufen sein:
    Ein altehrwürdiger Zauberer, der Monate damit zugebracht hatte, die Zukunft aus geworfenen Knöcheln herauszulesen und die Heiligen Bücher zu befragen, berichtete feierlich: »Hoher Gebieter, die Götter haben uns mit Hunger geschlagen, um uns vor Augen zu führen, daß sie hungern. Seit unserem letzten Einfall in Texcála hat es keinen Krieg mehr gegeben, und das war im Jahre Neun Haus. Seit jener Zeit haben wir den Göttern nur kümmerliche Blutopfer dargebracht – ein paar Gefangene, die wir zu diesem Zwecke aufgespart hatten, gelegentlich ein Gesetzesübertreter und hin und wieder ein Jüngling oder eine Jungfrau. Die Götter verlangen ganz offensichtlich mehr Nahrung.«
    »Wieder einen Krieg führen?« sann Motecuzóma. »Selbst unsere tapfersten Krieger sind so schwach, daß sie nicht einmal bis an die Grenze des Feindes marschieren könnten, ganz davon zu schweigen, diese etwa zu überwinden.«
    »Gewiß, Verehrter Sprecher. Aber es gibt eine Möglichkeit, zu einem Massenopfer zu kommen …«
    »Sollen wir unsere Leute hinschlachten, ehe sie verhungern?« fragte Motecuzóma ingrimmig. »Sie sind so ausgemergelt und vertrocknet, daß das ganze Volk noch nicht einmal einen Becher Blut hergeben würde.«
    »Gewiß, Verehrter Sprecher … Überdies wäre das eine so armselige Geste, daß die Götter sie vermutlich noch nicht einmal annehmen würden. Nein, Hoher Gebieter, was wir brauchen, ist ein Krieg, freilich eine andere Art von Krieg . . .«
    Das – so hat man mir berichtet, und das glaube ich auch – war der Beginn der Blumenkriege, und auf folgende Weise wurde der erste in die Wege geleitet:
    Die mächtigsten und zugleich am zentralsten gelegenen Mächte in diesem Tal bildeten einen Dreibund: Wir Mexíca mit unserer Hauptstadt auf der Insel Tenochtítlan, die Acólhua mit ihrer am östlichen Gestade des Texcóco-Sees gelegenen Hauptstadt gleichen Namens und die Tecpanéca mit ihrer Hauptstadt Tlácopan am Westufer. Im Südosten saßen drei weniger mächtige Völker: die Texcaltéca, von denen ich bereits gesprochen habe, mit ihrer Hauptstadt Texcàla, die Huéxotin mit ihrer Hauptstadt Huexotzinco und die einst mächtigen Tya Nuü – oder Mixtéca, wie wir sie nannten –, deren Reich so geschrumpft war, daß es praktisch aus kaum mehr als der Hauptstadt Cholólan bestand. Erstere waren, wie ich schon gesagt habe, unsere Feinde; letztere waren uns seit langer, langer Zeit tributpflichtig und – ob es ihnen nun gefiel oder nicht – gelegentlich auch unsere Verbündeten. Alle drei Völker wurden jedoch genauso wie unsere drei Völker von den Harten Zeiten heimgesucht.
    Nachdem Motecuzóma sich mit seinem Staatsrat besprochen hatte, beratschlagte er auch mit den Herrschern von Texcóco und Tlácopan. Alle drei gemeinsam unterbreiteten den drei Herrschern in den Städten Texcàla, Chólan und Huexotzinco einen Vorschlag, den sie gemeinsam entwarfen und gemeinsam abschickten. In den Grundzügen lief dieser Vorschlag auf folgendes hinaus:
    »Laßt uns alle Krieg führen, damit wir alle überleben. Wir sind verschiedene Völker, leiden aber gemeinsam unter den Harten Zeiten. Die weisen Männer sagen, daß es für uns nur eine Hoffnung gibt, um weiter fortzubestehen: die Götter durch Blutopfer zu sättigen und zu beschwichtigen. Deshalb schlagen wir

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