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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
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wirklich an die Ohren seines Sohnes dringen. Die Flöte fühlte sich spröde an und trocken an den Lippen. Die Finger in der entsprechenden Position, stellte er sich die Noten vor, die Meer ihm diktiert hatte.

93. KAPITEL
    D onnerstag, 1. Mai – 20:03 Uhr
    David sah, wie ein Ziegel aus der Wand kippte. Ein Riss im Luftschacht wurde größer; ein breiter Lichtschwall brach durch die Öffnung. Den Rücken flach an der Wand, gedeckt durch einen Steinvorsprung, beobachtete David, wie der nächste Ziegel purzelte, dann noch einer. Die ganze generalstabsmäßige Vorbereitung für die Katz! Nun hatten sie ihn doch erwischt! Aber so ganz hatte er sowieso nicht geglaubt, dass sein Schlupfwinkel uneinnehmbar sei. Nun, das war jetzt nicht mehr entscheidend. Selbst für den Fall, dass sie die Kammer finden sollten, hatte er das Element der Überraschung auf seiner Seite. Und die Zeit desgleichen.
    Mit angehaltenem Atem und so geräuschlos wie möglich schob er vorsichtig und langsam seine Sprengladung aus dem Lichtkreis heraus. Zoll für Zoll zog er die Komponenten zurück in einen noch dunkleren Winkel der Gruft.
    “Keine Bewegung!”, schallte da eine Männerstimme. “Oder ich schieße!”
    Davids Plan war eigentlich ausgerichtet auf den perfekten Augenblick am Ende der Sinfonie. Aber durfte er noch so lange warten? Den Atem weiter angehalten, lauschte er den Amerikanern, die die Ziegelmauer am entfernten Ende seines Verstecks durchstoßen hatten. Nun musste die Entscheidung binnen weniger Minuten fallen. Alles kam auf Davids allerletzten Köder an.
    “Keine Bewegung!”, schrie der Amerikaner wieder. “Oder wir machen von der Schusswaffe Gebrauch!”
    David ließ die letzte Ratte aus dem Käfig – verdammter Mist, hätte er doch bloß mehr von den Biestern gefangen! – und beobachtete, wie der Nager in Windeseile über den zerfurchten Lehmboden huschte.
    “Verflucht noch eins, Tucker!”, hörte er eine zweite Männerstimme. “Wieder nur eine von diesen verdammten Ratten!”
    Ein Lichtstrahl fiel auf das Nagetier, das an der Wand entlangflitzte und durch einen Spalt verschwand.
    “Ich finde, wir sollten machen, dass wir wieder raufkommen”, fuhr der Mann fort, der gerade gesprochen hatte. “Wir spielen hier doch Blindekuh!”
    “Eher Blinderatte!”, ulkte sein Kollege.
    Gelächter hallte durch die Kammer, schien sich jedoch etwas zu entfernen. Zogen die Männer etwa ab? Jedenfalls hörte es sich so an. Mit gespitzten Ohren hockte David im Dunkeln. Es ließ sich nur schwer berechnen, wie lange der Abzug dauerte, denn von seinem Versteck aus konnte er ja nichts sehen, und die gedämpften Geräusche der beiden Männer wurden inzwischen von der immer lauter werdenden Musik übertönt. Die Frage war: Sollte er noch bis zu der vorgemerkten Stelle im vierten Satz warten – oder die Sache auf der Stelle zu Ende bringen? Konnte er sich weiteres Warten noch leisten? Was, wenn Paxtons Leute gar nicht aufgegeben hatten, sondern nur eine Pause einlegten? So kurz vor dem Ziel zu scheitern, nur weil er auf ein elegantes Finale aus war … weil er den Sprengsatz genau am Ende des Konzertes zur Explosion bringen wollte … War das nicht blanker Unfug? Nein, es gab keinen Grund, die Sache noch länger hinauszuzögern.
    David tastete nach den Drähten.

94. KAPITEL
    D onnerstag, 1. Mai – 20:04 Uhr
    Kaum war Meer am Saaleingang angelangt, trat ihr ein Platzanweiser in den Weg und versperrte ihr den Zugang. Ohne auf ihn zu achten, ohne sich von ihm aufhalten zu lassen, ohne Rücksicht darauf, dass sie das Konzert störte, fasste sie unbeeindruckt nach der Klinke. Natürlich fiel ihr der Anweiser in den Arm und wies sie gedämpft, aber streng darauf hin, dass er sie während der Aufführung nicht durchlassen könne.
    Als ob sie das nicht wüsste! Selbstverständlich hätte das die Musiker gestört; Bewegung im Publikum bei laufendem Konzert konnte die Ausführenden aus dem Tritt bringen. Aber genau darauf kam es ihr an. Schon hörte sie, wie der Mann, der ihren Vater auf dem Gewissen hatte, die erste Note des Liedes spielte, von dem sie bereits seit Kindertagen heimgesucht wurde. Ein archaischer, fremdartiger, nie gehörter Klang erfüllte das Auditorium, brach sich an den Wänden und der Decke, zog alle in seinen Bann. Ein Ruf wie aus einer anderen Welt – weder Musik noch Lärm.
    Meer verspürte die Wirkung sofort. Taumelnd, von Schwindel erfasst, hielt sie sich die Ohren zu, erfolglos bemüht, den Schall auszublenden, das

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