Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
ordentlich geschnittenes Haar und das von roten Äderchen durchzogene Gesicht, das er bei seinem Lieblingssport, dem Barschangeln, zu oft der grellen Sonne aussetzte.
„Warum so überrascht, meine Liebe?“ fragte er in einem Ton, in dem eine leise Schärfe mitschwang. „Sie haben doch in der Klinik angerufen, oder?“
Das hatte sie in der Tat; es war ihr nach dem Vorfall mit Clay letzte Nacht ratsam erschienen. Dennoch war ihre Überraschung echt, weil der Nierenspezialist bisher noch nie hier gewesen war, sondern immer seine Assistentin Anita Fenton geschickt hatte. Diese hatte Lainey dann Blut abgenommen und die vereinbarten Vorauszahlungen für die Operation kassiert. Anita Fenton, eine dralle Person mit blassrotem Haar und schiefen Zähnen, arbeitete schon seit vielen Jahren mit Dr. Gower zusammen und war ihm treu ergeben. Obwohl sie nur eine Ausbildung als Krankenschwester hatte, nahm sie Dr. Gower eine Menge Arbeit ab, damit ihm mehr Zeit für seine eigentlichen Aufgaben blieb. Durch die Hausbesuche sollte verhindert werden, dass Lainey sich einem unnötigen Risiko aussetzte und sich überanstrengte oder womöglich irgendwo ansteckte, weil das den Zeitplan für die geplante Operation durcheinander bringen würde. Außerdem wollte man vermeiden, dass eventuelle Beobachter durch ständiges Kommen und Gehen von Besuchern auf die heimlichen Aktivitäten aufmerksam wurden, die hinter der wohltätigen Fassade der Klinik vor sich gingen.
„Ja, aber ich habe nicht mit Ihrem Besuch gerechnet“, gab Janna zurück. „Ich hatte eigentlich nur einen Rückruf von Schwester Fenton oder von Ihnen erwartet.“
„Ich musste davon ausgehen, dass es sich um etwas Dringendes handelt, weil Sie es sonst bestimmt nicht riskiert hätten, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Wir wissen beide, wie unsicher es ist, heikle Angelegenheiten übers Handy zu besprechen.“
„Ich habe mich sehr vorsichtig ausgedrückt. Aber es ist wichtig. Es kann nämlich sein, dass ich einen Spender gefunden habe, der mit Lainey verwandt ist.“
„Na so was.“ Der Arzt schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein.
„Ich dachte, Sie freuen sich, weil es bedeutet, dass wir vielleicht nicht auf die Spenderniere eines Toten warten müssen.“
„Ja, gewiss. Obwohl uns daraus ein Sicherheitsrisiko erwächst. Je weniger Leute von der Transplantation wissen, desto besser. Haben Sie mit diesem Verwandten bereits über die Spende gesprochen?“
Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich wollte die Sache erst mit Ihnen besprechen. Außerdem glaube ich, dass Sie oder Schwester Fenton ihm das alles besser erklären können.“
„Also wirklich, Janna.“ Die Stimme des Chirurgen klang gequält.
„Es tut mir Leid, wenn Sie sich umsonst hier herausbemüht haben. Ich habe, wie bereits gesagt, eigentlich nur erwartet, mit Schwester Fenton darüber zu sprechen.“
„Sie hat andere Verpflichtungen“, entgegnete er zerstreut. „Und da hier nächstes Wochenende ein Angelturnier stattfindet, habe ich beschlossen, den Besuch bei Ihnen damit zu verbinden, den See ein wenig zu erkunden. Ich hoffe doch, dass das Turnier wegen der unangenehmen Sache von gestern nicht ausfällt.“
„Was denn für eine unangenehme Sache?“
„Ach, Sie wissen gar nichts davon? Offenbar ist jemand ertrunken. Es kam in den Nachrichten.“ Dr. Gower winkte mit der schmalen Hand ab. „Aber wir scheinen hier ein weit wichtigeres Problem zu haben. Sie haben einen Mann im Haus. Was ist er, ein Freund oder ein Liebhaber?“
Die Frage kam so unerwartet, dass sie Janna aus dem Gleichgewicht brachte. „Wie bitte?“
„Als ich mich vorhin dem Haus näherte, hörte ich eine männliche Stimme. Wegen der Vorhänge konnte ich nicht sehr gut sehen, aber wie mir schien, hatte es sich der Herr in Ihrem Bett sehr gemütlich gemacht.“
Janna starrte den Arzt an. Er drückte sich stets sehr gewählt aus und hatte erstklassige Umgangsformen, außerdem wirkte er immer so blitzsauber, als hätte er sich eben von Kopf bis Fuß abgeschrubbt, eine äußerst lobenswerte Eigenschaft bei seinem Beruf. Da sie ihn noch nie anders als förmlich gekleidet gesehen hatte, hatte sie sich schon gefragt, ob er wenigstens beim Angeln legere Kleidung trug. Er war Janna gegenüber immer auf eine zurückhaltende Art freundlich gewesen, aber seine erste Sorge hatte stets ihrer Tochter gegolten. Bis heute Abend hatte er jedenfalls kaum Neugier gezeigt, was ihre persönliche Situation anbelangte. In
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