Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
hervor, doch Merkel bleibt stoisch, wenn auch im Laufe der
Wochen mit sinkender Begeisterung bei ihrer Linie: Wulff sei ein
guter Bundespräsident, sie schätze seine Arbeit, lässt sie über ihre
Regierungssprecher immer wieder verbreiten, fordert dabei aber nie
ein Ende der Debatte, sondern bringt vielmehr immer ihre Erwartung
zum Ausdruck, dass Wulff für Aufklärung sorgen werde.
Mit ihrer Unterstützung für Wulff geht sie an den Rand dessen,
was sie für ihn tun kann. Merkel bewegt sich dabei auf dünnem Eis:
Mit dem, was sie tut, verstößt sie eigentlich gegen das Prinzip, dass
sich Verfassungsorgane, in diesem Fall Bundespräsident und Bundesregierung, nicht gegenseitig kommentieren. Merkel ist mit ihrer Unterstützung schon im Grenzbereich unterwegs, mehr kann und will
sie nicht tun, sonst würde sie sich selbst angreifbar machen. Mit ihrer
Strategie fährt die Kanzlerin gut: Im Zuge der Präsidentenkrise steigen die Beliebtheitswerte von Merkel deutlich an. Die Bevölkerung
macht die Kanzlerin nicht für die Fehler des Bundespräsidenten haftbar, vielmehr scheint es so, dass Merkel plötzlich das verkörpert, was
die Menschen bei Wulff vermissen - ihre bodenständige Biederkeit,
die ihr lange Zeit zum Nachteil ausgelegt wurde, schmückt sie plötzlich. Die Opposition verfolgt diese Entwicklung mit wachsender
Frustration und versucht Anfang Januar vergeblich, aus der „Causa
Wulff" eine „Causa Merkel" zu machen.
Während die Kanzlerin den gebotenen Sicherheitsabstand hält, steigen ihre engsten Vertrauten in den Ring, um Wulff in den Medien zu
verteidigen. Bei der Union ist es zunächst Peter Altmaier, der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, der sich in verschiedene Talkshows setzt und für Wulff Partei ergreift. Altmaier ist
dabei nicht zu beneiden: Wulffs formaljuristische Argumentation, dass
er seinen privaten Hauskredit seinerzeit im Landtag nicht erwähnt hat,
weil nicht danach gefragt worden sei, ruft eine gewaltige moralische
Empörung in den Medien hervor. Die schlechte Kommunikation der
Einzelheiten seiner Hausfinanzierung tut ein Übriges, dass die Talkshow-Auftritte für Altmaier das reinste Himmelfahrtskommando
werden. Nach dem Jahreswechsel reicht es Altmaier. Der Saarländer
setzt sich in keine Talkshows mehr, um für den Bundespräsidenten
den Kopf hinzuhalten. Als Altmaier mitten in der Nacht zum 10. Januar 2012 per Twitter verbreitet, er würde sich wünschen, dass „Christian seine Anwälte an die Leine" legen würde, ist das vermutlich seine
authentischste Äußerung in den Wochen der Präsidentenkrise. Doch
nicht nur Altmaiers Bereitschaft, Wulff zu unterstützen, schwindet im
Laufe der Wochen.
Tatsächlich nimmt die öffentliche Unterstützung für Wulff aus seiner
eigenen politischen Familie sehr schnell ab. Das hat verschiedene Gründe: Da Wulffs Krisenmanagement immer wieder Ungereimtheiten
produziert und die Medien ihn mit immer neuen Vorwürfen konfrontieren, fragt man sich in der Union, wofür man eigentlich den Kopf
hinhält. Da die Medien Wulff nahezu geschlossen mit massiver Kritik
und Rücktrittsforderungen begegnen, ist auch klar, dass jeder, der gegen
den Strom schwimmt, dabei persönlich wenig zu gewinnen hat. Zwar
erklären sich die Generalsekretäre von CDU und CSU im Januar immer wieder pflichtschuldig mit Wulff solidarisch, das Klammern an die
immer selben Sprachregelungen wirkt jedoch ausgesprochen kraftlos.
Mit der Rolle der Medien will sich öffentlich niemand auseinandersetzen, im Gegenteil, obwohl es hinter vorgehaltener Hand durchaus heißt,
die Berichterstattung einzelner Medien trage eindeutig „Züge einer
Kampagne". Eine Rolle spielt bei der Union zweifellos die Erfahrung, die man mit Karl-Theodor zu Guttenberg gemacht hat. Als Verteidigungsminister Guttenberg wegen Plagiatsvorwürfen zu seiner Dissertation unter Druck geriet, leugnete er konsequent, bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben zu haben („Meine Dissertation ist kein Plagiat").
Neben anderen hatte Unions-Fraktionschef Volker Kauder Guttenberg
tapfer verteidigt, um dann erleben zu müssen, dass der CSU-Politiker
schlussendlich doch abtreten musste. Wer ihn verteidigt hatte, fühlte
sich selbst blamiert. Als sich die Krise um den Bundespräsidenten Bahn
bricht, bekennt Kauder deshalb intern, es reiche ihm, diese Erfahrung
einmal gemacht zu haben.
In den hinteren Reihen der Unionsfraktion schwindet das Verständnis für Wulff
Weitere Kostenlose Bücher